EU-Sonder-Energierat: Suche nach Unabhängigkeit
Die EU-Energieminister trafen sich heute zur Sondersitzung in Brüssel, kurzfristig einberufen nach dem russischen Gaslieferstopp an Polen und Bulgarien. Topthema: Ein Erdöl-Embargo gegen Russland.
Aber während kurzfristig dringend Lieferanten fossiler Energieträger jenseits von Russland gesucht werden, will Deutschland in nur zwei Jahrzehnten vollständig auf diese fossilen Importe verzichten. „Es gilt, gefährliche geopolitischen Spannungen und Verwerfungen zu vermeiden“, schreiben die Wissenschaftlerin Kirsten Westphal, Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat und Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung, in einem Meinungsbeitrag, der heute auszugsweise in der taz erschien (https://taz.de/Energiewende-laesst-auf-sich-warten/!5847585/) und den wir hier veröffentlichen:
Das (lange) Endspiel der Fossilen
„Die Realpolitik schlägt zurück“
Deutschland ringt heftig um den Ausstieg aus den fossilen Importen aus Russland. Es besteht akuter Handlungsdruck und gleichzeitig gilt es, langfristige Ziele im Blick zu halten. Ein schwieriger Spagat, der zu einer intensiven Reisetätigkeit der Bundesregierung in Länder führt, die vorher aus guten Gründen nicht so sehr auf der Agenda standen. In diesen Tagen und Wochen werden uns also in gnadenloser Brutalität die geopolitische Dimension von fossilen Energieimporten und die damit verbundenen sicherheitspolitischen Auswirkungen vor Augen geführt.
Es ist ein nur schwer auszuhaltendes Dilemma: wir wollen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine natürlich nicht mittelbar über fossile Energiebezüge finanzieren, aber befinden uns gleichzeitig in einer vulnerablen Situation, in der zugleich die sicherheitspolitische Dimension von Energiewende und Klimaschutz in Erscheinung trit. Wie sehr die internationale Zusammenarbeit nottut, und wie sehr wir diese in der Vergangenheit vernachlässigt haben, zeigen die aktuell hektischen Gespräche und die schwerwiegenden Folgen.
Klimaschutz in Deutschland, der EU und auch global hat massive, disruptive geopolitische Auswirkungen. Sie tauchten im Diskurs der vergangenen Zeit immer mal auf, doch in der Realpolitik haben sie nicht wirklich stattgefunden. In nur 23 Jahren will Deutschland alle fossilen Importe auf null gefahren haben. Heute immerhin gut 70 Prozent unserer Primärenergie. Gleichzeitig sollen parallel neue Importstrukturen aufgebaut werden, um eine viel kleinere Energiemenge als heute als Wasserstoff oder Powerfuels zu importieren. Ganz ähnlich gilt das für die EU und für all die anderen Länder, die sich ein Ziel für die Klimaneutralität in den kommenden Jahrzehnten gegeben haben.
Im vergangenen Jahr wurde die Internationale Energieagentur (IEA) mit ihrem „Net-Zero“ Report überall in der Welt vor allem mit der Aussage zitiert, dass keine Investitionen in Öl und Gas mehr stattfinden dürfen, wenn die Welt sich wirklich ernsthaft auf den sogenannten 1.5° Pfad begeben wolle. Die Realität aber hinkt den politischen Zielen weit hinterher, auch wenn die politischen Botschaften, die wir an die fossilen Produzenten gesendet haben, nur einen Tenor kannten, nämlich: „weg von den Fossilen“.
Amin Nasser, der Chef von Saudi-Aramco, dem größten Erdöl-Förderunternehmen der Welt, hat das über allem schwebende Problem auf der CERAWeek in Houston neulich in einem Satz auf den Punkt gebracht: „Während Investitionen in die Öl- und Gasindustrie gebremst werden, wird von uns verlangt, die Produktion zu steigern.“ Sichtbar wird das, was er meint, in den hektischen, aber leider auch erforderlichen Aktivitäten der Politik in Deutschland, der EU, aber auch in vielen anderen Ländern der Welt. Überall werden nahezu verzweifelte Gespräche geführt, ob denn die Produktion von Öl, Gas und auch Kohle nicht noch ausgeweitet werden kann. LNG-Terminals werden gebaut, neue Pipelines und Transportwege geplant und neue Gas- und Öl-Felder exploriert. Und bei den entsprechenden Gesprächen stellen Politiker aus Deutschland und der EU fest, dass die aktuelle Krise Lösungen erfordert, die weit über einen kurzen Zeithorizont von zwei oder drei Jahren hinausgehen. Wer heute neue Bezugsquellen will, muss langfristige Verträge machen. Über zehn oder gar 20 Jahre. Neue Investitionen müssen getätigt - und parallel dennoch auch der Umstieg auf Wasserstoff und grüne Powerfuels betrieben werden. Der Krieg Russlands in der Ukraine ist der erschreckend menschenverachtende Auslöser für all das. Aber das dahinterliegende Problem ist größer, es wäre uns in den kommenden Jahren mit großer Sicherheit auch sonst begegnet.
Während der Klimaschutz und das Zielsystem in 2050 die politische Debatte der letzten Jahre geprägt haben, schlägt nun die Realpolitik zurück. Sie erzwingt, langfristige Klimaziele in realisierbare Zwischenschritte herunterzubrechen, die wiederum auf internationaler Ebene zwischen den „klimafreundlichen“ Ländern und den Exportländern von Öl, Kohle und Gas besprochen werden müssen. Das alles hat eine eminente internationale Dimension. Und das nicht nur wegen des anvisierten beschleunigten Ausstiegs aus russischen Energieträgern.
„Kurzsichtigkeit der Langfriststrategie“
Wie kurzsichtig eine von Langfrist dominierte Strategie sein kann, wird jetzt deutlich, wo wir verflüssigtes Erdgas aus anderen Weltregionen auf einmal ebenso benötigen, wie Erdöl vom Golf oder gar aus Venezuela und dem Iran, um das Embargo gegen Russland abzufedern. Das erfordert neue Investitionen, bei uns in LNG Terminals, in den exportierenden Ländern in mehr Förderung. Wir haben zwar das Ende der Fossilen eingeläutet, aber nicht besiegelt und schon gar nicht gemeinsam abgestimmt. Ein gravierendes Versäumnis für unsere flexible Versorgung, den Klimaschutz, aber auch die internationale Zusammenarbeit und den Geist des Miteinander. Wohl wahr, auch Länder, die vor allem fossile Energieträger produzieren, sind freiwillige Verpflichtungen zum Klimaschutz eingegangen. Selbst Russland hat das Abkommen von Paris 2019 ratifiziert. Ebenfalls wahr ist, wir haben internationale Partnerschaften mit Blick auf neue Bezugsquellen von Wasserstoff und Powerfuels initiiert. Hiess aber die zu Grunde liegende Botschaft an unsere Partner dabei nicht eher in etwa so: „Unsere Klimapolitik ist irreversibel, euer Geschäftsmodell ist obsolet. Nun bieten wir euch an, mit uns bei etwas Neuem ins Gespräch zu kommen. Das aber können wir uns auch aus anderen Ländern vorstellen.“ Mit Blick auf die damit verbundenen Herausforderungen dieser Länder war die unausgesprochene Botschaft im Grunde: „Seht zu, wie ihr damit zurechtkommt.“ Alles das hat in manchen Regionen dieser Welt den Nährboden für eine, für uns bislang kaum denkbare, aber eben auch gefährliche Lesart unserer Bemühungen zur Dekarbonisierung bereitet. Eine Wahrnehmung, die Klimapolitik und die Energiewende in erster Linie als Bühne eines geopolitischen Wettbewerbs versteht.
„Die nächste Runde im Endspiel darf keine absoluten Verlierer haben“
Das Endspiel der Fossilen geht in eine nächste Runde: Die fossilen Produzenten kommen aus der bedrängten Ecke wieder in die Mitte des Spielfeldes. Jetzt heißt es klug agieren. Die Diskussion um die geopolitischen Konsequenzen der Energiewende ist keine neue, und dort besteht die These schon lange, dass die Produzenten der fossilen Energieträger für den Umbau kooptiert und mitgenommen werden müssen. Damit der Konsens um das Pariser Klimaschutzabkommen bewahrt werden kann, aber eben auch um die Zwischenschritte von Erdgas und Wasserstoff, von Erdöl zu synthetischen Brennstoffen mit ihnen zu definieren, um sie am Energiesystem und der Wertschöpfung teilhaben zu lassen und Rücksicht auf die von ihnen dafür erforderlichen Geschwindigkeiten zu nehmen.
Energiefragen sind heute geopolitischer denn je, die Ablösung der alten Energiewelt und der Aufbau einer neuen Energiewelt führt zu gefährlichen geopolitischen Spannungen und Verwerfungen, das wurde auch und gerade in den sicherheitspolitisch aufgeladenen Energiebeziehungen zu Russland manifest.
Deutschland ist und wird „Importeur von Molekülen“ in und mit Europa bleiben. Wir müssen zurück zu einem kooperativen Modus nach abgestimmten Spielregeln, damit der sukzessive Ausstieg für beide Seiten planbar ist und „stranded assets“ zum großen Teil Theorie bleiben. Und nein, das bezieht sich nicht in erster Linie auf Russland, an dessen Spitze ein Präsident steht, der gegenwärtig Krieg und Terror über die Ukraine bringt. Es gilt viel allgemeiner für eine Vielzahl von Ländern in der Welt, von deren Energieimporten Deutschland und auch andere Länder abhängig sind. Mir müssen uns also die Frage stellen: haben wir aktuell die richtigen internationalen Foren, um unsere klimapolitischen Ziele mit fossilen Lieferanten zu diskutieren und gemeinsam verlässliche Ausstiegspfade zu definieren? In der jetzigen Krisensituation kämpft jedes Land für sich. Auch das eine unglückliche Nebenerscheinung von globalen Krisen, die wir schon bei der Corona-Krise erlebt haben.
Klimaschutz darf bei den fossilen Lieferanten nicht als unfreundlicher Akt der Abkehr wahrgenommen werden, sondern als das, was er ist: ein schmerzhafter Kraftakt, um den gemeinsamen Planeten lebenswert zu erhalten, der aber auch neue Perspektiven eröffnen wird. Eine Angelegenheit, die nur in globaler Kooperation und in einem Umfeld ohne Krieg, Armut, Korruption und Terror gelingen kann.
Machen wir uns nichts vor. Das Endspiel der Fossilen wird länger dauern, als wir gedacht haben. Die Spielregeln sind andere, als wir Klimaschützer lange Zeit geglaubt haben. Ein oft zitierter Ausspruch des Wirtschaftsministers von Katar, eben jenem Land, in dem gerade eine große Wirtschaftsdelegation den Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz begleitet hat, um für einen längeren Zeitraum LNG zu sichern, lautet „The future of the world is gas“. Welches Gas das sein wird – Erdgas oder Wasserstoff - und die Art, wie wir uns mit diesen Einschätzungen auseinandersetzen, wird Auswirkungen haben auf die Geschwindigkeit mit der wir die globalen Klimaschutzziele erreichen können. Die diesjährige Klimakonferenz (COP) in Ägypten und die darauffolgende in den Vereinigten Arabischen Emiraten sind gute Gelegenheiten, das zum Thema zu machen. Alles das hat auch Auswirkungen auf die konkrete Klimaschutzpolitik in Deutschland. Mit dem Kopf durch die Wand wird länger dauern als mit kluger, internationaler Kooperation auch mit Partnern, mit denen man eigentlich nicht so gerne zusammensitzen mag.