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19.01.24

Elektromobilität als Chance für die Netze

Elektromobilität bietet eine Chance für die Stromnetze: Welche Anreize jetzt die Freude an elektrischen Antrieben konsequent umsetzen. Emmanuel Lagrandeur-Bouressy und Friederike Wenderoth geben einen Rundum-Einblick.

Friederike Wenderoth, Teamleiterin Energieinfrastruktur und Emmanuel Lagrandeur-Bouressy, Arbeitsgebietsleiter Mobilität

Der Hochlauf der Elektromobilität stellt für die Stromnetze Deutschlands einerseits eine Herausforderung dar, könnte sich andererseits aber auch positiv auf deren Flexibilität auswirken. Emmanuel Lagrandeur-Bouressy, dena-Arbeitsgebietsleiter Mobilität, und Friederike Wenderoth, dena-Teamleiterin Energieinfrastruktur, erläutern, wie die richtigen Anreize für Netzbetreiber und E-Auto-Nutzende gesetzt werden können, um zum klimaneutralen Stromsystem der Zukunft beizutragen.

Sowohl Netzbetreiber als auch Fahrzeughersteller stehen vor der Frage, inwiefern E-Autos künftig über ihre Funktion als reines Transportmittel hinauswachsen und eine Rolle für die Flexibilität der Verteilnetze spielen könnten. Dieses Thema wurde auch auf einer Podiumsdiskussion auf dem Energiewende-Kongress 2023 in Berlin behandelt.

Aus der Sicht von Verbraucherinnen und Verbrauchern könnte die Anschaffung eines E-Autos deutlich an Attraktivität gewinnen, wenn dieses auch als Energiespeicher nutzbar gemacht und Vergütungen für Energieeinspeisung in Aussicht gestellt werden. Jedoch ist dies nur zu gewährleisten, wenn eine flächendeckende Ladeinfrastruktur mit unterschiedlichen Ladeleistungen insbesondere im privaten Raum aufgebaut wird und entsprechende Rahmenbedingungen für die Verteilnetzbetreiber geschaffen werden.

Dynamische Stromtarife als Kaufanreiz

Je nach Tageszeit und Verfügbarkeit am Markt variiert der Strompreis an der Börse stark. So sind nachts und nachmittags die Preise wesentlich niedriger als zu Stoßzeiten am Morgen und Abend. Strom dann zu beziehen, wenn die Preise besonders niedrig sind, kann Verbraucherinnen und Verbrauchern spürbare Einsparungen ermöglichen. Außerdem ist der Strompreis während einer hohen Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien in der Regel niedriger, was einen Anreiz für den Verbrauch von grünem Strom schafft. Ein viel diskutierter Bestandteil einer effizienten Infrastruktur ist daher die Einführung von flexiblen (oder dynamischen) Stromtarifen. Diese haben keine festen Arbeitspreise je Kilowattstunde, sondern variieren in Abhängigkeit der aktuellen Preise an der Strombörse.

In anderen Ländern sind dynamische Stromtarife bereits Standard und erlauben im Kontext der E-Mobilität, große Mengen an Strom nur dann in die Batterie einzuspeisen, wenn die Marktpreise niedrig sind. In Spanien werden beispielsweise rund 40% der Privatkundinnen und Privatkunden mit dynamischen Stromtarifen beliefert, was sie zum Vorreiter in Europa macht.

Antizyklische Verlagerung der Ladezeiten

Damit Verbraucherinnen und Verbraucher aktiv in das Stromnetz eingebunden werden können, müssen Ladeeinrichtungen und Netzanschlüsse vollumfänglich verfügbar sein. Eine zentrale Herausforderung stellt dabei die Höhe der Ladeleistung dar, welche Netzbetreiber über verschiedene Spannungsebenen ihres Verteilnetzes zur Verfügung stellen müssen.

Wenn Fahrzeuge z. B. beim Parken innerhalb weniger Minuten geladen werden sollen, können Ladeleistungen von deutlich über 50 kW nötig werden. Bei schweren elektrischen Nutzfahrzeugen stellen neue Ladestandards wie das Megawatt Charging System (MCS) das Stromnetz vor besonders große Herausforderungen.

Mehr Informationen stellt die dena-Plattform Nachhaltiger Schwerlastverkehr bereit

Für Netzbetreiber ist der ggf. erforderliche Netzausbau zur Bereitstellung solch hoher Anschlussleistungen kostspielig. Können Fahrzeuge über einen längeren Zeitraum – beispielsweise über Nacht – geladen werden, reichen niedrigere Leistungen von 7 kW vollkommen aus. Dies würde sowohl Netzbetreibern als auch Netzanschlussnehmern Kosten ersparen.

Die oben genannten flexiblen Stromtarife würden somit auch für die Netzbetreiber einen finanziellen Mehrwert liefern, da sich die Stromnachfrage auf längere Ladezeiten über Nacht verschiebt und somit niedrigere Leistungen benötigt werden. Um die lokal variierenden Bedarfe zu erfassen, zu analysieren und den Netzausbau entsprechend zu steuern, müssen natürlich entsprechende Daten zur Verfügung stehen. Die Digitalisierung der Netzinfrastruktur mit Hilfe von Smart Metern und entsprechender Planungssoftware spielt für den Netzausbau somit ebenfalls eine zentrale Rolle.

Bidirektionales Laden als Beitrag zur Netzdienlichkeit

In einem dezentralen Netz basierend auf erneuerbaren Energien stellt die bedarfsgerechte Bereitstellung von Strom die Netzbetreiber und Energiedienstleister vor Herausforderungen. Auch hierbei könnten Elektroautos eine unterstützende Rolle einnehmen.

Bidirektionales Laden ermöglicht es nicht nur, Strom aus dem Netz zu speichern, sondern auch aus dem Fahrzeug in das Netz einzuspeisen und dafür eine Vergütung zu erhalten. Fahrzeuge würden somit in den 23 Stunden des täglichen Stillstehens als Zwischenspeicher fungieren und gleichzeitig einen finanziellen Mehrwert für die Eigentümerinnen und Eigentümer liefern. Dies wertet den Besitz eines Elektroautos einerseits auf, bedeutet aber auch, dass, durch die zusätzlichen Lade- und Entladezyklen, die Batterie schneller ihr Lebensende erreicht.

Die Technologie für bidirektionales Laden existiert zwar, jedoch sind die Marktanreize gering. Und ein rechtlicher Rahmen ist aktuell noch nicht vorhanden, der Elektrofahrzeuge als Batteriespeicher anerkennt und entsprechende Einspeisevergütungen ermöglicht.

Allerdings hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unter der Leitung von Robert Habeck bereits einen europäischen Gipfel zum Thema bidirektionales Laden veranstaltet. Tendenziell ist davon auszugehen, dass bidirektionales Laden eher den Eigenverbrauch, als die Netze stützen würde.

Insgesamt zeigte auch der dena Energiewende-Kongress 2023, dass die Elektrifizierung des Straßenverkehrs weit mehr als nur ein Fortschritt in der Fahrzeug- und Batterietechnologie ist. Sie erfordert eine umfassende Ertüchtigung der Stromnetzinfrastruktur: Der enorme Investitionsbedarf stellt angesichts der derzeit sehr angespannten Finanzierungssituation eine große Herausforderung dar. 

Die zentrale Botschaft ist klar: Die Anpassung der Stromnetze ist entscheidend für den Erfolg der Elektromobilität und die Schaffung einer nachhaltigen Energiezukunft. Neben Digitalisierung, sind vor allem rechtliche Sicherheit sowie flexible Marktmechanismen und konsequente Zusammenarbeit zwischen allen Bedarfsträgern nötig.

Session auf dem dena-Kongress 2023: zum Thema “Elektrifizierung der Straße - Was Stromnetze künftig leisten können”: Kristina Haverkamp (Geschäftsführerin der dena), Dr. Ralf Sitte (BMWK), Sebastian Ewert (chargeBIG), Dr. Kathrin Goldammer (Reiner Lemoine Institut Berlin), Lisa Hankel (Stromnetz Berlin), Stefan Gerwens (ADAC) und Friederike Wenderoth (dena).

Mobilität und Energieinfrastruktur: dena-Projektarbeit

In der dena bringen die Teams „Mobilität“ und „Energieinfrastruktur“ relevante Stakeholder an einen Tisch, um gemeinsam technische Analysen und politische Empfehlungen für die Zukunft der Elektromobilität und Netzinfrastruktur zu erarbeiten.

Mehr zu diesen Themen finden Sie auch in zwei dena-Publikationen:

  • Publikation

    dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität

    Der Abschlussbericht der dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität identifiziert entscheidende Handlungsfelder und Lösungsansätze, um bis 2045 in Deutschland Klimaneutralität zu erreichen. Mehr als...