Die Energiewende findet im Verteilnetz statt: Aktuelle Herausforderungen für Verteilnetzbetreiber
Welche Herausforderungen warten auf die Verteilnetzbetreiber auf dem Weg zum Klimaneutralitätsnetz? Friederike Wenderoth, Teamleiterin Stromnetze, und Martin Jäger, Experte Strom International, fassen diese zusammen.

Die Transformation des Energiesystems schreitet mit hoher Geschwindigkeit voran – und große Herausforderungen liegen zunehmend auf der Verteilnetzebene. Während in den vergangenen Jahren der Fokus der Politik häufig auf den Übertragungs- und Fernleitungsnetzen lag, müssen auch die Verteilnetzbetreiber (VNB) dringende Aufgaben umsetzen, wie die Integration der wachsenden Zahl von Netzanschlüssen für erneuerbare Energien und neue Verbraucher im Stromnetz – aber auch die Stilllegung von Erdgasverteilnetzen und der Aufbau von Fernwärmenetzen und Wasserstoffverteilnetzen.
In ihrer Verteilnetzstudie II untersucht die dena gemeinsam mit 26 lokalen Verteilnetzbetreibern und Stadtwerken, die einzeln oder im Verbund sowohl für die Strom, Gas- als auch Wärmeversorgung verantwortlich sind, sowie den Projektgutachtern BET Consulting, Bergische Universität Wuppertal und BMU Energy Consulting, welche zentralen Herausforderungen auf die VNB zukommen: von der Finanzierung der notwendigen Investitionen über den Fachkräftemangel bis hin zu einer sektorenübergreifenden Netzplanung der Strom-, Wärme- und Gasversorgung. Darüber hinaus werden die Auswirkungen auf die finanzielle Lage von VNB für einen Muster-VNB in einer Beispielkommune modelliert und anhand betriebswirtschaftlicher Kennzahlen verdeutlicht. Die dena-Verteilnetzstudie wird Handlungsempfehlungen sowohl für die VNB als auch für politische Akteure formulieren.
Friederike Wenderoth, Teamleiterin Stromnetze, und Martin Jäger, Experte Strom International, fassen diese Herausforderungen zusammen. Die vollständige dena-Verteilnetzstudie II wird im zweiten Quartal 2025 veröffentlicht.
Beschleunigung der Energiewende
In den letzten Jahren unterlagen die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Arbeit der VNB stetigen Veränderungen aufgrund der Zielverschärfungen in Richtung des Klimaneutralitätsnetzes 2045. Diese – im Sinne der Energiewende begrüßenswerte Entwicklung - stellte die Flexibilität der VNB auf eine harte Probe. Mit den beschleunigten Prozesse der Energiewende in den verschiedenen Sparten (Strom, Gas/Wasserstoff, Wärme) fiel es den VNB zunehmend schwerer mit den steigenden Zahlen von Netzanschlussbegehren der Kunden - sowohl für EE-Erzeugung als auch für Lasten - und den entsprechenden Planungen des zukünftigen Netzes und den Integrationen ins Bestandsnetz Schritt zu halten. Daraus folgt z.B. ein weniger effizienter Einsatz der vorhandenen Energiequellen (Abregelungen) und die Einhaltung der übergeordneten Ziele der Energiewende gerät dadurch in Gefahr – was sich sowohl auf die Verteil- als auch die Übertragungsnetze auswirkt.
Sicherung der Finanzierung
Die VNB müssen langfristige Infrastruktur-Investitionen mit einem ausreichenden Cashflow für den laufenden Betrieb sowie die Ausschüttungserwartungen der Gesellschafter und Stakeholder in Einklang bringen. Dabei dürfen sie nicht die Kosten für die Endkunden aus dem Auge zu verlieren.
Angesichts dieser Anforderungen stehen die klassischen Geschäftsmodelle der VNB auf dem Prüfstand, weshalb es notwendig wird, zusätzliche Kapitalquellen zu erschließen.
Konkurrenz um Ressourcen
Verteilnetzbetreiber stehen vor einem zunehmenden Wettbewerb – sowohl untereinander als auch mit anderen Sektoren – wenn es um die Gewinnung qualifizierter Fachkräfte und die Beschaffung essenzieller Dienstleistungen geht.
Gleichzeitig verschärft sich die Flächenkonkurrenz für netztechnische Anlagen, was die Planung und den Ausbau der Infrastruktur weiter erschwert.
Hinzu kommt die begrenzte Verfügbarkeit wichtiger Materialien, insbesondere Betriebsmittel, die oft von globalen Lieferketten abhängig sind. Diese Abhängigkeit macht die VNB anfällig für Marktengpässe und verzögerte Lieferzeiten, was deren Arbeit zusätzlich herausfordert.
Spartenübergreifende Planung und Assetmanagement
Bei vielen VNB herrschen noch sehr spartenspezifische Denkmuster in den Planungsprozessen vor. Häufig fehlen integrierte Planungsinstrumente, um die verschiedenen Sektoren (Strom, Gas/Wasserstoff, Wärme) miteinander zu verknüpfen. Dazu gehört ebenfalls die Einbeziehung darüberhinausgehender Verknüpfungen von Erzeugung und Lasten, z.B. im Bereich Mobilität oder Speicherung nicht genutzter Energie in Netzplanung und -betrieb. Ebenso mangelt es an regelmäßiger Koordination mit anderen VNB, Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB), Fernleitungsnetzbetreibern Gas (FNB) und Kommunen.
In volatiler werdenden Energienetzen spielt die integrierte Netzplanung als auch das optimierte Management der Assets eine wesentliche Rolle, um die Netze jetzt und zukünftig möglichst effizient zu betreiben, Synergien zwischen den Sparten und Sektoren zu heben. Die VNB bewegen sich dabei in einem Spannungsfeld zwischen strategischer und operativer Planung und Nutzung ihrer Assets, da sie sicherstellen müssen, dass ihre Produkte sowohl technisch umsetzbar als auch wirtschaftlich tragbar, sicher, bezahlbar und umweltfreundlich sind.
Koordination der Vielzahl heterogener Netznutzer und Akteure
Die Steuerung und Lenkung der wachsenden Zahl an Netznutzern, insbesondere in den unteren Spannungsebenen, wird immer wichtiger für die VNB, um die Netzkapazitäten optimal auszunutzen. Beispiele für Netznutzer auf dieser Ebene sind Haushalte mit Photovoltaikanlagen, Elektrofahrzeuge, die über Ladestationen ans Netz angeschlossen sind, oder Wärmepumpen.
Eine entscheidende Herausforderung dabei ist die fehlende Datengrundlage – vor allem auf der Niederspannungsebene. Gleichzeitig bieten Digitalisierung und Flexibilisierung Potenziale, die Vielzahl neuer Netznutzer intelligent in das System einzubinden. Innovative Netzplanungsmethoden eröffnen Möglichkeiten, den Netzausbau zu optimieren und so Kosten zu sparen.
Mit der steigenden Zahl an Netznutzern wächst auch die Zahl der Akteure, mit denen die VNB sich koordinieren müssen. So erfordert die kommunale Wärmewende genauso wie die Entwicklung von Wasserstoffnetzen und die Integration von Wasserstoffabnehmern zunehmend enge und umfassende Abstimmungen zwischen VNB und den verschiedenen Beteiligten außerhalb der Energieinfrastrukturen.
Nächste Schritte
Die Studienergebnisse der Gutachter und Einschätzungen der dena werden mit den beteiligten Stadtwerken und Verteilnetzbetreibern diskutiert. Diese werden zusammen mit den gemeinsamen Ableitungen zu Lösungen und Handlungsempfehlungen für Verteilnetzbetreiber und politische Akteure ab dem zweiten Quartal 2025 der breiten Öffentlichkeit vorgestellt.