Zwischen strategischer Autonomie und Resilienz - warum das Weimarer Dreieck für Europas Energiesicherheit gefragt ist
Zur Autorin
Franca Pompeÿ ist Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf internationale Energiepolitik. Nach ihrer Arbeit bei der Desertec Industrial Initiative widmet sie sich bei der dena europäischen Projekten, die die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den verschiedenen Bereichen der Energiewende befördern.
Die Ereignisse der letzten Jahre haben Europas Abhängigkeiten offengelegt. Trotz Energiewende und Green Deal bleiben Deutschland, Polen und Frankreich sowie die EU als Ganzes stark auf Importe fossiler Brennstoffe, kritischer Rohstoffe und Komponenten zum Erneuerbare-Energien-Ausbau angewiesen. Strategische Abhängigkeiten und geopolitische Spannungen fordern Europa heraus, eigene Ressourcen besser zu nutzen und Importstrukturen zu diversifizieren.
Das Weimarer Dreieck – ein regionales Bündnis aus Frankreich, Deutschland und Polen, das 1991 in Weimar gegründet wurde – brachte in der Vergangenheit zahlreiche europäische Themen voran und könnte das aktuell auch mit Blick auf die Energiesicherheit tun.
Der Zeitpunkt wäre (noch) günstig: Zum ersten Mal seit fast einem Jahrzehnt haben alle drei Länder proeuropäische Regierungen. Und sie sehen sich mit ähnlichen innenpolitischen Herausforderungen konfrontiert – darunter Haushaltsengpässe, hohe Energiepreise sowie der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Industrien und damit verbundener Arbeitsplätze. Durch gemeinsame Anstrengungen können diese kosteneffizienter überwunden werden.
Eine gemeinsames Verständnis für eine resiliente Energieunion etablieren
Unter dem Titel “A Weimar Agenda for a strong, geopolitical EU” haben die Außenminister Polens, Frankreichs und Deutschland im Jahr 2024 ihren Willen bekräftigt, eine ehrgeizige Agenda für Europa zu fördern. Diese soll die europäische Souveränität und Resilienz stärken. Eine solche Agenda sollte für den Energiebereich erstellt und mit einem gemeinsamen Verständnis für die Zukunft der Energieunion unterlegt werden.
Frankreich könnte mit seinem Konzept der „strategischen Autonomie“ und seiner ambitionierten Industriestrategie eine zentrale Rolle spielen. Es zielt auf Europas Fähigkeit ab, unabhängig und souverän zu handeln – besonders auch im Energiesektor durch den Ausbau nationaler Produktionskapazitäten, den Schutz kritischer Infrastruktur und die Reduktion fossiler Abhängigkeiten. Präsident Macrons Fokus auf industrielle Souveränität unterstreicht diesen Anspruch. Allerdings erschweren innenpolitische Herausforderungen – wie die fragile Mehrheitslage im Parlament und Haushaltskürzungen – die Umsetzung.
Polen hat bereits entscheidenden Einfluss auf die europäische Energiepolitik genommen und beansprucht neben dem deutsch-französischen Motor zurecht Gestaltungsspielraum. Donald Tusk prägte als Premierminister den Begriff „Energieunion“ und schlug bereits 2014 den gemeinsamen Gaseinkauf vor – ein Vorschlag, der während der Energiekrise wieder aufgegriffen wurde. Polen und Frankreich haben ähnliche Ziele hinsichtlich der strategischen Autonomie wie etwa Energieunabhängigkeit. Allerdings steht Polen Frankreichs geopolitischer Interpretation – insbesondere einer Distanzierung von den USA – kritisch gegenüber.
Deutschland wiederum könnte als verbindender Akteur wirken. Die Energiekrise 2022 führte zu einem Kurswechsel hin zu Diversifizierung und Versorgungssicherheit – mit Importen von Flüssigerdgas (LNG), beschleunigtem Ausbau erneuerbarer Energien und technologischer Souveränität bei Schlüsselindustrien. Dabei wird weniger von „strategischer Autonomie“, sondern eher von „Resilienz“ gesprochen. Der Erhalt bzw. die Wiederherstellung eines funktionierenden Energiesystems in Belastungssituationen wird in den Fokus gestellt. Die Reduzierung der Abhängigkeiten, etwa durch den Ausbau eigener Kapazitäten wie in Frankreich, spielt eine kleinere Rolle.
Autonomie durch Kooperation
Wenn strategische Autonomie europäisch interpretiert wird, können sich die Konzepte der drei Länder gut ergänzen. “Autonomie durch Kooperation” könnte eine Leitidee sein, die durch gemeinsame Maßnahmen der drei Länder verfolgt wird und damit Europas strategische Position stärkt. In Anbetracht aktueller geopolitischen Spannungen sowie historischer Abhängigkeiten und ihrer Konsequenzen muss ein gemeinsames Verständnis eines resilienten europäischen Energiesystems etabliert und mit konkreten Maßnahmen hinterlegt werden.
Die neue deutsche Regierung hat die Beziehungen zu Frankreich und Polen zur Priorität gemacht. Dies hat das Potenzial, ein neues Narrativ für das Weimarer Dreieck im Sinne einer resilienten Energieunion zu etablieren.
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