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30.10.25 Industrie Wasserstoff Wirtschaft transformieren

Schritte hin zu einem Leitmarkt für emissionsreduzierte Düngemittel

Hebel für eine zukunftsfähige Ausrichtung der Industrie mit Reduktion der Emissionen und Stärkung des Wasserstoffmarktes

Friederike Altgelt und Bastian Jakob
Friederike Altgelt und Bastian Jakob, Expertin und -Experte für Wasserstoff-Märkte und Wasserstoff-Derivate

Seit 2024 führt die dena gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) einen Stakeholderdialog zu Potentialen für emissionsarmes Ammoniak in der Düngemittelindustrie durch. Friederike Altgelt und Bastian Jakob, bei der dena jeweils zuständig für Wasserstoff-Märkte und Wasserstoff-Derivate, geben Einblicke in das Projekt sowie die Zwischenergebnisse und die geplanten nächsten Schritte des Prozesses. 

Schon heute ist Wasserstoff ein essenzieller Rohstoff für die Düngemittelindustrie: Aus ihm wird zusammen mit Stickstoff – unter hohem Druck und bei hohen Temperaturen – im Haber-Bosch-Verfahren Ammoniak hergestellt. Ammoniak wird wiederum für die Produktion von Stickstoffdüngemitteln benötigt. Der Düngemittelmarkt in Deutschland spielt eine zentrale Rolle für die Landwirtschaft und somit auch für Ernährungssicherung und agrarwirtschaftliche Wertschöpfung.

Zur Autorin, zum Autor

Friederike Altgelt leitet bei der dena das Team Wasserstoff-Märkte und Regulierung. Ihre thematischen Schwerpunkte liegen auf dem angebots- und nachfrageseitigem „Policy Mix“, dem Aufbau inländischer Produktionskapazitäten und der Zertifizierung von Wasserstoff. Sie studierte im Bachelor Internationale Beziehungen in Dresden und Vancouver und im Master Behaviour Change am University College London (UCL).

Bastian Jakob hat Maschinenbau studiert und brachte u.a. Erfahrungen aus der industriellen Projektentwicklung sowie dem Public Affairs Bereich mit zur dena. Er leitet das Team für Wasserstoffderivate, welches sich mit konkreten Möglichkeiten zum Einsatz emissionsreduzierter Stoffe wie Ammoniak oder Methanol beschäftigt.

Wie hängen der Markthochlauf von emissionsarmem Wasserstoff und die Transformation der Düngemittelindustrie zusammen?

Die Produktion des Ammoniaks basiert aktuell noch weitestgehend auf fossilen Energien. In Europa ist dies vor allem Erdgas, aus dem mittels Dampfreformierung Wasserstoff gewonnen wird. Das macht die Produktion emissions- und energieintensiv. Im Jahr 2020 war sie für ca. 1,3% der globalen Emissionen und ca. 2% des globalen Energiebedarfs verantwortlich (IEA 2021, Ammonia Technology Roadmap). 

Emissionen der Ammoniak- und Stickstoffdüngerproduktion können reduziert werden, indem der fossile Wasserstoff ersetzt wird. Würde der gesamte aktuelle Stickstoffdüngerverbrauch Deutschlands umgestellt werden, entstünde dadurch ein jährlicher Bedarf an rund 230.000 t (knapp 8 TWh) emissionsreduziertem Wasserstoff. In Betracht dafür kommen elektrolytisch erzeugter, erneuerbarer Wasserstoff (“grüner” Wasserstoff) und kohlenstoffarmer Wasserstoff (wie zum Beispiel “blauer” Wasserstoff aus Erdgas mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS)). Die Abbildung unten zeigt schematisch die aktuell verbreitete fossile Produktionsroute sowie mögliche alternative Pfade für eine emissionsreduzierte Düngemittelherstellung.

Herausforderungen in der Marktentwicklung von emissionsreduziertem Stickstoffdünger und dessen Folgeprodukten

Als zentrale Herausforderung werden von Akteuren entlang der Wertschöpfungskette die anfallenden Mehrkosten benannt. Bei Preisen von erneuerbarem Wasserstoff von derzeit noch deutlich über 5 €/kg H2 ergeben sich Produktionskosten für Ammoniak in Neuanlagen von über 1.000€/t NH3. Damit sind sie mindestens doppelt so hoch sind wie die aktuellen Preise für fossiles Ammoniak in Europa. Zwar fallen die relativen Mehrkosten durch den Einsatz von emissionsreduziertem Ammoniak bzw. Stickstoffdünger in nachgelagerten Wertschöpfungsketten (z.B. beim Brot) deutlich geringer aus, sie können aber aktuell nur sehr begrenzt entlang der Wertschöpfungskette weitergegeben werden. Stakeholder, die am Dialogprozess von BMWE und dena beteiligt sind, sprechen sich daher für zusätzliche Anreize für den Einsatz von emissionsreduzierten Düngemitteln und deren Folgeprodukte aus. Ebenso befürworten sie vereinheitlichte Methoden zur Berechnung der erreichten Emissionseinsparungen und Standards zur Kennzeichnung der emissionsreduzierten Produkte. 

Daneben müssen Anreize für produktionsseitige Investitionen in den Blick genommen werden: Technisch ist für die Substitution von fossilen Ausgangsstoffen nicht zwingend der Bau neuer Anlagen erforderlich. Auch in Bestandsanlagen kann fossiler Wasserstoff zu ca. 10-20% durch erneuerbaren Wasserstoff ersetzt werden. Eine vollständige Substitution in Bestandsanlagen erfordert jedoch eine Anpassung des Prozesses und entsprechende Investitionen, zum Beispiel in eine Luftzerlegungsanlage zur Stickstoffbereitstellung und in die Erschließung alternativer CO2-Quellen für die Produktion des kohlenstoffbasierten Düngemittels Harnstoff. Die wesentlichen Kostentreiber bleiben aber der Strom- und Wasserstoffbezug. Da sich hierbei Kostenvorteile in Produktionsländern außerhalb Deutschlands ergeben, werden im Rahmen des Stakeholderprozesses auch Resilienzkriterien für die Sicherung inländischer Wertschöpfung diskutiert.

Nicht zuletzt stellt sich auch die Frage nach dem Ineinandergreifen von Angebot und Nachfrage: Leitmärkte für emissionsreduzierte Produkte können nur entstehen, wenn es Unternehmen gibt, die sich zusammenschließen und bei Produktion, Vermarkung und Einsatz dieser Produkte vorangehen. Erste branchenübergreifenden Kooperationen für Düngemittel auf der Basis von emissionsreduziertem Wasserstoff bzw. Ammoniak existieren in Deutschland und Europa bereits. Der Stakeholderdialog stärkt solche Pilotprojekte und unterstützt damit den Aufbau eines Leitmarkts.

Wie der Stakeholderdialog aufgebaut ist und was zukünftig geplant ist

Ende 2024 trafen sich auf Initiative des BMWE und der dena Unternehmen und Verbände entlang der Wertschöpfungskette sowie Akteure aus Politik, Forschung und Zivilgesellschaft erstmalig zu einem Workshop in Berlin. Bei der Veranstaltung wurden Herausforderungen und Lösungsansätze systematisch erfasst. Im Anschluss daran wurden drei von der dena geleitete Arbeitsgruppen zu als prioritär identifizierten Schwerpunktthemen ins Leben gerufen: 

  • Resilienz & Standortstärkung,
  • Vermarktung & Kennzeichnung,
  • THG-Bilanzierung und -Reduktionspotenzial.

In einem weiteren Präsenzworkshop im September 2025 wurden die erarbeiteten Zwischenergebnisse zusammengeführt und notwendige nächste Schritte erörtert, u.a. die Entwicklung von Definitionen emissionsreduzierter Produkte auf EU-Ebene und Ansätze zur Überbrückung der Kostenlücke zwischen fossilen und emissionsreduzierten Produktionspfaden.  

Friederike Altgelt und Bastian Jakob stehen vor einer Präsentationsleinwand mit dem Titel 'H2-Hochlauf in Schlüsselindustrien: Potenziale für grünes Ammoniak in der Düngemittelindustrie', Publikum im Vordergrund.
Friederike Altgelt und Bastian Jakob moderierten den 2. Präsenzworkshop im Rahmen des Düngemittel-Stakeholderdialogs im September 2025.
Zwei sitzende Personen bei einer Diskussion, eine trägt braune Jacke mit rotem Kragen, die andere einen dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd.
Stephanie von Ahlefeldt, Abteilungsleiterin in BMWE, eröffnete die Veranstaltung mit einer Keynote.
Mann im Anzug hält Mikrofon und rotes Blatt, spricht vor Publikum mit Präsentation im Hintergrund.
Manuel El-Amine, betreut das Thema und den Stakeholder-Dialog fachlich im BMWE.
Mehrere Personen in Businesskleidung stehen um einen Tisch mit Getränken und Snacks und unterhalten sich in einem Büro.
Die Teilnehmenden erarbeiteten an Thementischen konkrete Lösungsansätze und Konzepte für den Aufbau eines Leitmarkts.

Das BMWE hat bereits zugesichert, dass geplant ist, den Prozess fortzuführen. Die dena und das BMWE werden dafür ein Konzept erarbeiten, das neben der Verstetigung des Austauschs zwischen den beteiligten Akteursgruppen insbesondere zum Ziel hat, ein Label für die Ausweisung der Emissionen von Düngemitteln zu entwickeln. Unmittelbare nächste Schritte stehen insbesondere im Themenfeld der Klassifizierung und Kennzeichnung von Düngemitteln an. Geplant ist ein Austausch mit europäischen und internationalen Organisationen zu bestehenden Konzepten und “best practice”-Ansätzen. Darauf aufbauend soll ein Optionenpapier für ein Klassifizierungssystem für Düngemittel nach Emissionsintensität unter Einbeziehung europäischer Initiativen erstellt werden. Auch Resilienzaspekte und -maßnahen, z.B. im Rahmen des European Food Security Crisis preparedness and response Mechanism (EFSCM), sollen in der nächsten Phase des Prozesses näher betrachtet und Ableitungen für eine nachhaltige Düngemittelproduktion geprüft werden.

Unternehmen und Organisationen der relevanten Wertschöpfungsstufen wie Energiewirtschaft, Wasserstofferzeugung, Düngemittelindustrie, Landwirtschaft, Agrarhandel, Lebensmittelproduktion und Einzelhandel, die bisher keine aktive Rolle im Prozess hatten, können sich an der nächsten Phase des Stakeholderdialogs beteiligen und ihre Expertise einbringen. Interessierte Personen sind eingeladen, sich unter duengemitteldialog(at)dena.de zu melden.

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