Ein Gespräch mit dena-Geschäftsführerin Kristina Haverkamp
Redaktion: Im Jahr 2022 ist viel passiert. Wie hat der Angriffskrieg in der Ukraine die internationale Projektarbeit der dena beeinflusst?
K. Haverkamp: Die dena hat eine Vielzahl internationaler Partner, mit denen wir seit langem eng und gut zusammenarbeiten. Die Ereignisse der letzten Monate haben unsere internationalen Aktivitäten natürlich stark beeinflusst. Erstens ist der Deutsch-Russische Energiedialog ausgesetzt seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine und wir haben sofort alle Aktivitäten in Russland eingestellt. Die Deutsch-Belarussische Energiekooperation wird bereits seit September 2020 nicht mehr fortgeführt. Dafür wenden wir uns verstärkt geografischen Regionen zu, die aufgrund des Krieges in Osteuropa geopolitisch an Bedeutung gewinnen und unsere Unterstützung jetzt in besonderem Maße brauchen: Moldau, Südosteuropa generell, Balkan und Zentralasien. Zweitens sehen wir, dass das Thema „Versorgungssicherheit“ wegen der schwierigen Situation auf den Energiemärkten aktuell bei vielen unserer Partnerländer auf der Prioritätenliste ganz oben steht. Insbesondere die Dekarbonisierung von Industrie und Wärmeversorgung müssen jetzt häufig dahinter zurückstehen. Ich gehe aber davon aus, dass das ein vorübergehendes Phänomen wird. Und es gibt in diesem Zusammenhang auch eine gute Nachricht: Immer mehr Länder realisieren, dass der Ausbau erneuerbarer Energien und mehr Energieeffizienz nicht nur in die Klimaziele einzahlen, sondern darüber hinaus auch einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten können. Dementsprechend stellen wir in unseren Partnerländern ein deutlich gewachsenes Interesse an deutschen Erfahrungen, deutschem Know-how, Technologie und nicht zuletzt Investitionen in den Bereichen erneuerbare Energien und Energieeffizienz fest. Und auch die Themen grüner Wasserstoff und grüne Mobilität stoßen weiterhin auf großes Interesse.
Die Länderübergreifende Dialogplattform Urbane Energieinfrastruktur
Mit der Länderübergreifenden Dialogplattform Urbane Energieinfrastruktur fördert die dena die Zusammenarbeit zwischen politischen und wirtschaftlichen Akteuren in Osteuropa und Zentralasien. Deutsche Unternehmen werden von der dena bei der Markterschließung in diesen Ländern unterstützt.
Redaktion: Welche Veränderungen haben sich konkret für die länderübergreifende Dialogplattform „Urbane Energieinfrastruktur“ (Länderdialog) ergeben?
K. Haverkamp: Die Länderdialog-Plattform ist ein einzigartiges Projekt, das die Länder Osteuropas und Zentralasiens – Aserbaidschan, Belarus, Kasachstan, Russland, Ukraine und Usbekistan – zum Thema Energiewende in Städten zusammengebracht hat. An der bereits seit 2018 bestehenden Plattform beteiligen sich Stakeholder aus Politik, Wirtschaft, Wohnungs- und Kommunalwirtschaft und Wissenschaft, die sich mit Fragen der nachhaltigen Stadtentwicklung beschäftigen, sowie Vertreterinnen und Vertreter der Städte und Kommunen selbst. Sie treffen sich jedes Jahr, um bei Runden Tischen, in Workshops und auf Studienreisen über die Zukunft der nachhaltigen städtischen Energieinfrastruktur zu sprechen. Dabei kommen von der energieeffizienten Wärmeversorgung über die klimafreundliche Mobilität bis hin zur nachhaltigen Abfallwirtschaft alle wichtigen Themen auf den Tisch. Sowohl die Energie- als auch die kommunale Infrastruktur in diesen Ländern weist aufgrund der sowjetischen Vergangenheit vergleichbare Herausforderungen auf. Deshalb gibt es bei den Beteiligten ein großes Interesse daran, sich über Visionen, Lösungen und Erfahrungen auszutauschen.
Deutsche und europäische Stakeholder wie IRENA, European Mobility Week, REN21 sind regelmäßig in diesen Austausch eingebunden. So wird die Kompetenz zu Schlüsselthemen der Energiewende erhöht und berufliche Netzwerke werden aufgebaut.
Nach dem 24. Februar hat sich natürlich der Kreis der teilnehmenden Länder geändert: Russland und Belarus sind nicht mehr Teil des Länderdialogs; gleichzeitig ist eine Intensivierung der Debatte in den verbliebenen Ländern zu beobachten und die Erfahrungen weiterer osteuropäischer und zentralasiatischer Länder rücken in den Fokus. Wir möchten deshalb weitere Länder in den Länderdialog einbeziehen, zum Beispiel Moldau und die baltischen Länder, mit denen bereits Sondierungsgespräche geführt werden.
Redaktion: Was macht Sie zuversichtlich mit Blick auf die Entwicklung des Länderdialogs in den nächsten 6 Monaten?
K. Haverkamp: Ich habe den Eindruck, dass das Interesse an einem intensiven Austausch in diesen schwierigen Zeiten spürbar zunimmt. Natürlich sind die Länder Osteuropas und Zentralasiens nicht nur energie-, sondern auch außenpolitisch sehr unterschiedlich aufgestellt. Aber den Wunsch, die Beziehungen zum Westen zu stabilisieren oder sogar auszubauen, nehme ich in all diesen Ländern wahr. Und das Thema nachhaltige Energiewende und Klimaschutz in Städten drängt sich für eine intensivierte Zusammenarbeit geradezu auf. Es verbindet, denn wir alle stehen vor der Frage, wie wir unsere urbanen Räume klimafreundlich gestalten können. Außerdem ist das Thema für die beteiligten Länder sehr wichtig, denn ohne die Probleme der Städte zu lösen, ist eine nachhaltige Entwicklung unmöglich. Eine nachhaltige Urbanisierung kann Veränderungen in einer Reihe miteinander verbundener Fragen bzw. Aspekte vorantreiben – darunter die Beseitigung der Armut, die Bekämpfung des Klimawandels, Migration, Landverödung und wirtschaftlicher Wohlstand. Ich bin deshalb sehr zuversichtlich, wenn es um die Zukunft des Länderdialogs geht.
Was kommunale Fragen betrifft, möchte ich noch ergänzen, dass wir derzeit mit vielen ukrainischen Kommunen und Städten in Kontakt stehen, sie hinsichtlich ihrer Energieversorgung für den kommenden Winter beraten und mit ihnen über den nachhaltigen Wiederaufbau sprechen. Wir werden unser Möglichstes tun, um hier zu unterstützen.
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