URBANE INFRASTRUKTUR

Smarte Städte im Einsatz für die Energiewende

15.12.2021 - „Sie haben Ihr Ziel erreicht“. Dieser Satz ist jedem bekannt, der sich per Navigationssystem durch die Stadt, über die Autobahn oder auf bisher unbekannten Radwegen lotsen lässt. Mithilfe digitaler Technologien lassen sich nicht nur Staus umfahren und schnellere oder kostengünstigere Routen finden, sondern idealerweise auch Wärme- und Stromversorgung steuern und optimieren. Wieviel davon ist noch Wunschdenken und wieviel Realität? Wir stellen drei Beispiele für Smart Cities aus Russland, der Ukraine und Kasachstan vor.

Smarte Technologien können die urbane Infrastruktur nachhaltiger gestalten.

Der urbane Raum birgt hohes Potenzial, das Klima zu schützen: 60 bis 80 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und 75 Prozent aller Kohlenstoffemissionen stammen aus Städten. Inzwischen gibt es weltweit eine Vielzahl an Pilotprojekten und bereits umgesetzte Vorhaben, mittels smarter Technologien die urbane Infrastruktur nachhaltiger zu gestalten. Aber das Potenzial ist bei weitem noch nicht erschöpft.

Länderübergreifende Zusammenarbeit

Lange galten skandinavische Länder als vorbildlich in Bezug auf eine smarte Gestaltung der urbanen Energieinfrastruktur. Aber Beispiele für Smart Cities und digitale Projekte lassen sich nicht nur in Finnland oder Dänemark finden. Auch in Osteuropa und Zentralasien gibt es Vorreiterprojekte, von deren Erfahrungen deutsche Städte oder auch Unternehmen profitieren können. Konkrete Fallbeispiele zur Digitalisierung in diversen Bereichen der städtischen Infrastruktur haben Expertinnen und Experten aus Belarus, Kasachstan, Russland und der Ukraine im Rahmen einer digitalen Talkrunde der dena diskutiert. Der Austausch fand im Rahmen der länderübergreifenden Dialogplattform „Urbane Energieinfrastruktur“ statt: Dieses Format wurde bereits im Jahr 2018 von der dena ins Leben gerufen und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWi) unterstützt.

Modernisierung des Stromnetzes durch Smart Grid

In der russischen Stadt Ufa wurde letztes Jahr ein Smart-Grid-Projekt abgeschlossen, das das Stromnetz langfristig modernisierte und überzeugende Ergebnisse lieferte: Die Stromversorgung ist effizienter und zuverlässiger geworden, die Energieverluste sind deutlich zurückgegangen und die Hauptprozesse wurden automatisiert.

Herausfordernd war für die Netzgesellschaft vor allem die Tatsache, dass das Stromnetz von Ufa unterschiedlichen Alters ist. So existiert neben jüngst gebauten Stromtrassen ein Netz, das aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts stammt. Aufgrund dessen wurden im Rahmen des Projekts mehr als 500 Anlagen renoviert, darunter Verteilerpunkte und Umspannwerke, sowie 96,5 km Kabeltrassen verlegt. Ein wichtiger Teil der Arbeit war die Erfassung bestehender technischer Informationsdaten, die als Grundlage für die Planung des zukünftigen Smart-Grid-Modells dienten. Schließlich wurde ein zukünftiges Stromnetz anhand drei verschiedener Szenarien modelliert, die Elemente wie Fernsteuerung und -überwachung des Netzwerks, gasisolierte Schaltanlagen oder intelligente Zähler enthielten. Nach einem technischen und wirtschaftlichen Vergleich der Szenarien begann die Umsetzung des Zielmodells des Stromnetzes.

Ilnur Gazizov, Direktor von OOO BESK Engineering bilanzierte, dass das Investitionsvolumen recht hoch gewesen sei (ca. vier Milliarden Rubel über eine Dauer von neun Jahren), aber das Projekt habe sich finanziell gelohnt: Die Produktion entsprechender Ausrüstung wurde lokalisiert und somit wurde auch das Interesse am Einsatz intelligenter Geräte stimuliert. Diese Erfahrung lässt sich nicht eins zu eins auf andere Länder übertragen. Dennoch können die Ansätze des implementierten Smart-Grid-Konzepts genutzt werden.
 

Digital Twin als Basis für die zukünftige Entwicklung der urbanen Infrastruktur

In Zentralasien gilt die Stadt Almaty (Kasachstan) als führend im Bereich Smart City. Die Stadt entwickelte eine Digitalisierungsstrategie bis 2025, hat 97,8 % der staatlichen Dienstleistungen digitalisiert und verfügt über ein sehr gutes mobiles Breitbandnetz (5G). Außerdem arbeitet die Stadtverwaltung derzeit an der Schaffung eines digitalen Zwillings der Stadt.

Dieser sogenannte „Digital Twin“ der Stadt Almaty wird alle wohnungs- und kommunalwirtschaftlichen Strukturen (Wasser- und Gasversorgung, Elektrifizierung, Straßenüberlastung, Luftverschmutzung) zusammenführen und es ermöglichen, in Zukunft auf bestimmte Probleme und sogar Notfälle zeitnah reagieren zu können. Darüber hinaus soll es der digitale Zwilling zukünftig ermöglichen, zusätzlich zu den Infrastrukturdaten von Wasser, Strom und Verkehr auch Umweltdaten und Migrationsdaten zu erfassen. Beispielsweise können auf Basis der Informationen zum Lkw-Verkehr und zur Luftverschmutzung nicht nur Prognosen getroffen, sondern auch Maßnahmen beschlossen werden.

Bisher wurde eine vollständige Common Database geschaffen, die nach Auskunft der Digitalisierungsabteilung der Stadtverwaltung entpersonalisiert und datenschutzkonform ist. Dieser liegt ein spezifisch entwickeltes App-System zu Grunde. Auf Basis von 80 Algorithmen konnten in diesem Jahr 60 Milliarden Transaktionen der App-Nutzerinnen und -Nutzer verarbeitet werden. Ein weiteres Ziel ist es, dass mittels der Datenbank Behörden, kommerzielle und akademische Organisationen anonymisierte Daten austauschen. Darauf aufbauend werden verschiedene Prognosen, beispielweise über den Beschäftigungsgrad oder Cluster von Migrationsbewegungen und von der Entwicklung einzelner Stadtgebiete erzeugt. Dies ist wichtig für die sozioökonomische Planung der Stadt. Bis 2032 soll ein gesamter Masterplan der Stadt zur Verfügung stehen. Die Projektkosten belaufen sich auf 2 Mrd. Tenge städtischer Ausgaben (4,5 Mio. Dollar).
 

Nationale Datenbank für Gebäudeeffizienz in der Ukraine

In der Ukraine baute eine Expertengruppe des ukrainischen Ministeriums für Entwicklung von Gemeinden und Territorien eine nationale Datenbank auf, in der die technischen und energetischen Eigenschaften von öffentlichen Gebäuden verzeichnet sind. Nach sechs Jahren der Datensammlung befinden sich derzeit 13.375 Gebäude aus 24 Regionen in der Datenbank. Gelistete Indikatoren sind u. a. der Energie- und Stromverbrauch pro Jahr und die Nutzungsart. Auf Basis der erhobenen Daten erarbeiten die Regionen eine strukturierte Umsetzungsstrategie zur thermischen Modernisierung der Gebäude. So fließen die notwendigen Finanzmittel in jene Energieeffizienzmaßnahmen, die eine langfristige Wirkung versprechen. Doppelte Instandsetzungen werden somit vermieden. Weiterhin ist geplant, dass die Datenbank regionale Akteure bei der Suche nach Energieauditoren unterstützt und digitale Zertifikate vergeben werden können.
 

Erste Ziele sind erreicht

Die Beispiele aus der Ukraine, Russland und Kasachstan zeigen: Eine Smart City impliziert nicht per se eine flächendeckende Einführung moderner Technologien. Der Ansatz besteht darin, das Leben der Bevölkerung mit ihren Aktivitäten und Bedürfnissen zu verstehen, mögliche Herausforderungen im städtischen Raum zu identifizieren, um dann mithilfe von Technologien Probleme anzugehen. Die Digitalisierung von Prozessen und neue Technologien werden nicht nur dazu beitragen, mit gut angelegten Investitionen optimale Lösungen zu finden, sondern auch Energiewendeprozesse zu beschleunigen. Manche Städte erarbeiteten sich einen Vorsprung und haben ihre ersten Ziele schon erreicht.

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Bild: shutterstock/VasinLee