Wie die Energiewende den Netzbetrieb verändert
Um einschätzen zu können, welchen Handlungsbedarf die Energiewende hervorruft, muss man den Grundaufbau des Stromnetzes verstehen. Ähnlich wie beim Verkehrsnetz, das von der Autobahn bis zum Feldweg reicht, gibt es auch im Stromsystem Routen, die sich – entsprechend ihrer Funktion – in verschiedene Hierarchieebenen einteilen lassen. Während das Übertragungsnetz (Höchstspannungsebene) die Energie mit geringen Verlusten, landesweit von den Kraftwerken zu Verbrauchsschwerpunkten transportiert, übernimmt das Verteilnetz die regionale Umverteilung zu den Endverbrauchern. Zumindest ist das die traditionelle Aufgabenverteilung, die sich allerdings mit der Energiewende allmählich wandelt. Leitungen mit Höchstspannung erreichen dabei Werte bis zu 400 Kilovolt (kV), im Fall von Hoch-, Mittel- und Niedrigspannung sind es maximal 110 kV, 35 kV bzw. 400 V.
Das Stromnetz wird vom Verteil- zum „Einsammelnetz“
Da in zunehmendem Maße erneuerbare und dezentral erzeugte Energien zum Einsatz kommen, muss insbesondere das Verteilnetz neue Aufgaben übernehmen. Sind eine Vielzahl dezentraler Erzeugungsanlagen im Verteilnetz angeschlossen, kann die Erzeugung zeitweise den Verbrauch in einem Netzabschnitt übersteigen und somit das Verteilnetz zu einem „Einsammelnetz“ werden. Das Stromnetz muss Schwankungen ausgleichen und die zuverlässige Versorgung auch zu Stoßzeiten aufrechterhalten. Flexibilität, also die Fähigkeit des Netzes, lokal wechselnde Erzeugungs- und Lastsituationen ausgleichen zu können, ist der Schlüssel.
Um das Stromnetz flexibler und damit auch effizienter zu machen, stehen im Wesentlichen zwei Wege zur Verfügung, die sich ergänzen: Die Optimierung des Netzes kann sowohl über seinen Ausbau als auch über Veränderungen im Betrieb erreicht werden. Bei letzterer Methode kommen Flexibilitäten zum Einsatz, beispielsweise die Integration von Energiespeichern, die in Zeiten niedrigen Bedarfs Strom zurückhalten, um ihn dann in Zeiten hohen Energiebedarfs wieder abgeben zu können. Durch die Anwendung eines klug gesteuerten Demand Side Managements (DSM) erhalten Unternehmen und Privathaushalte zudem die Möglichkeit, um zu bestimmten Zeiten auf einen Teil ihrer stromverbrauchenden Geräte zu verzichten. Durch diese flexible Lastenverschiebung kann das Netz effektiv entlastet werden.
dena-Studien liefern wichtige Impulse
In ihrer Netzstudie II hat die dena die Integration erneuerbarer Energien in die deutsche Stromversorgung im Zeitraum 2015 bis 2020 mit Ausblick auf das Jahr 2025 untersucht. Das Ergebnis: Je nachdem, welche Übertragungstechnik eingesetzt wird, müssen zusätzliche Trassen auf der Höchstspannungsebene mit einer Länge von 1.700 bis 3.600 km gebaut werden – bei gleichzeitiger Optimierung des bestehenden Verbundnetzes. Während sich die Netzstudie II auf das Übertragungsnetz konzentriert, befasst sich die dena-Verteilnetzstudie mit den Hoch-, Mittel- und Niederspannungsnetzen. Die Ergebnisse belegen einen deutlichen Erweiterungsbedarf bis zum Jahr 2030. In ihrer aktuellen Netzstudie III untersucht die dena im Austausch mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft, wie die Planung der Energieinfrastruktur im Sinne einer integrierten Energiewende optimiert werden kann.
Dass sich nicht nur der Ausbaubedarf, sondern auch der Betrieb der Stromnetze verändert, zeigt die dena-Studie Systemdienstleistungen. Sie zeigt, dass dezentrale Energieanlagen und Netzbetriebsmittel mehr Verantwortung für das Stromsystem übernehmen können und müssen, da konventionelle Kraftwerke, die heute überwiegend den Bedarf an Systemdienstleistungen decken, zukünftig deutlich verringerte Betriebszeiten haben werden. Einen Überblick über den aktuellen Stand und die Zukunftsfähigkeit von Systemdienstleistungen gibt der dena Innovationsreport Systemdienstleistungen.
Mit dem Potenzial von Flexibilitäten für die Energiewende hat sich die dena in ihrer Netzflexstudie befasst sowie im Rahmen der Initiative Netzflex, die im September 2019 Maßnahmenvorschläge für einen optimierten Einsatz von Flexibilitäten veröffentlicht hat.
Netzausbau und Systemdienstleistungen sind nötig
Fazit: Ein zweigleisiges Vorgehen wird empfohlen: Zum einen Ausbau des Stromnetzes, wo immer es notwendig ist, zum anderen die Ausschöpfung alternativer, betrieblicher Optionen – sprich: die Verbesserung der Auslastung des bestehenden Netzes durch intelligente Steuerung und Flexibilisierung – wo immer es möglich ist. Weiterführende Informationen zum Thema finden sich auf der Themenseite Systemdienstleistungen.