Kommentar von Andreas Kuhlmann

Koalitionsvertrag: 2018 wird ein entscheidendes Jahr!

Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung, zieht im Tagesspiegel BACKGROUND ein erstes Fazit zum Koalitionsvertrag.

Nun steht er also, der Koalitionsvertrag, und damit auch Deutschlands neues Arbeitsprogramm für Energiewende und Klimaschutz. Zwei Bedingungen aber gibt es noch, um aus dem Text konkretes Handeln zu machen. Erstens: ein positives Ergebnis beim SPD-Mitgliederentscheid (Anmerkung: Sollten SPD-Mitglieder unter den LeserInnen sein: Ein „Ja“ lohnt sich.). Zum anderen: …darauf komme ich am Ende zu sprechen.

Ein erstes (Zwischen-)Fazit: Es ist gut, dass die Koalitionäre von CDU/CSU und SPD Deutschlands führende Rolle bei Klimaschutz und Energiewende fortsetzen wollen und dazu ambitionierte Ziele ausgegeben haben. Die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Maßnahmen sind wichtig, für die Erreichung der gesteckten Ziele wird aber noch einiges hinzukommen müssen.

Union und SPD wollen Deutschland „zur energieeffizientesten Volkswirtschaft der Welt“ machen und die Energiewende „zielstrebiger“ und im besseren Einklang mit „Menschen, Kommunen und Unternehmen“ gestalten. Gut so! Das CO2-Ziel für das Jahr 2030 soll „auf jeden Fall“ erreicht und die drohende Lücke für das Jahr 2020 so weit wie möglich geschlossen werden. Erneuerbare Energien sollen deutlich zulegen und ihren Anteil bis 2030 auf 65 Prozent steigern. Auch das ist gut, wenn auch anspruchsvoll.

Über den gesamten Koalitionsvertrag verteilt sind einzelne Maßnahmen und wichtige Einzelfragen adressiert: Bis 2020 soll die Ladeinfrastruktur für Elektromobilität auf 100.000 Ladepunkte ausgebaut und acht bis zehn Gigawatt zusätzliche Kapazität für Erneuerbare Energien im Strombereich ausgeschrieben werden. Die Förderlandschaft der energetischen Gebäudesanierung soll erstmals durch eine steuerliche Absetzbarkeit ergänzt werden. Ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn über die Höhe der dafür notwendigen Mittel noch zu sprechen sein wird. Sehr positiv ist außerdem die klare Benennung der Vorbildfunktion der öffentlichen Hand in diesem Themenbereich. Speicher- und Wasserstofftechnologien sollen noch intensiver erforscht werden. Der geplante bundesweite Ausbau digitaler Infrastruktur kann die nötige Vernetzung der Sektoren im Energiesystem forcieren.

Der Zeitplan ist herausfordernd

Der Kurs stimmt also, und es sind gute Ansätze erkennbar. Es fehlen allerdings noch konkretere Hinweise, wie genau sich die gesetzten Großziele erreichen lassen und die verschiedenen Branchen und Sektoren im Energiesystem besser zusammenwirken. Bedauerlich, aber vielleicht wäre das auch etwas zu viel erwartet, angesichts des Zeitdrucks, unter dem die Koalitionsgespräche standen. Diese Aufgaben sind nun weitestgehend an eine Reihe von Kommissionen delegiert, die Strategien, Lösungspfade und konkrete Instrumente erarbeiten müssen. Und das möglichst schnell. Denn die für das Klimaschutzziel zentrale Kommission „Struktur, Wachstum und Beschäftigung“ soll schon in diesem Jahr Ergebnisse vorlegen, ebenfalls – parallel dazu – zwei weitere Kommissionen für Gebäude und Mobilität. Soviel ist also jetzt schon klar: 2018 wird ein entscheidendes Jahr für Energiewende und Klimaschutz. Bereits im Jahr 2019 sollen die dann identifizierten Maßnahmen in eine „rechtlich verbindliche Umsetzung“ münden.

Ein wahrhaft herausfordernder Zeitplan. Eine neue Regierung wird erst Mitte März im Amt sein, die Kommissionen müssen benannt werden, die Abläufe und Zielvorstellungen präzisiert und verschiedene Szenarien durchgespielt werden. Aber erfreulicherweise gibt es eine Reihe wichtiger Vorarbeiten und grundlegender Studien, auf die man sich beziehen kann. Die dena-Leitstudie „Integrierte Energiewende“ zum Beispiel.

Wie ambitioniert die gesamte Zielstellung ist, zeigen folgende Betrachtungen: In den kommenden zwölf Jahren müssen die CO2-Emissionen pro Jahr doppelt so stark sinken wie im Schnitt seit 1990. In der vergangenen Legislaturperiode sind sie allerdings quasi stabil geblieben. Noch vor Kurzem wurde der jährliche Zubau der Erneuerbaren Energien begrenzt, weil man zu dem Ergebnis kam, dass der schleppende Ausbau der Stromnetze mehr nicht möglich mache. Trotz aller Anstrengungen: Die Sanierungsquote für Gebäude verharrt auf einem deutlich zu niedrigen Stand und die CO2-Emissionen im Verkehr steigen eher, als dass sie sinken.

Die zwei, drei oder gar mehr Kommissionen – die noch nicht existieren – werden hart arbeiten müssen. Es geht unter anderem darum, wie der bestehende Kraftwerkspark schon in den kommenden zwölf Jahren massiv umgebaut werden kann, ohne die Versorgungssicherheit und übrigens auch die Wärmeversorgung zu beeinträchtigen. Das heißt: Viel weniger Braunkohle und Steinkohle, mehr Gas. Wie lässt sich der damit verbundene Strukturwandel in den betroffenen Regionen gestalten? Es geht darum, die Sanierungsquote für Gebäude um mindestens 50 Prozent zu steigern – und zwar ab sofort. Es wird darum gehen, viele Millionen Elektrofahrzeuge in den Markt zu bringen und in das System zu integrieren. Und das betrifft erstmal nur die PKWs. Wie der Straßengüterverkehr, der heute gut 40 Prozent mehr CO2 emittiert als im Jahr 1990, „auf Spur“ gebracht werden kann, ist vollkommen offen. Auch andere „grüne Kraftstoffe“ werden eine Rolle spielen müssen. Und es wird vor allem auch darum gehen, die Maßnahmen zur Energieeffizienz insgesamt zu forcieren und deutlich zu schärfen.

Betrachtet man die Zwischenergebnisse der dena-Leitstudie „Integrierte Energiewende“, ließen sich noch einige andere Aspekte nennen, die nötig sind, um das Klimaziel 2030 sicher und kosteneffizient zu erreichen. Deutschland braucht eine Wärmeoffensive und muss dringend mehr für die Modernisierung der Gebäudehülle und Anlagentechnik tun. Bis 2030 müssen allein mindestens drei bis vier Millionen Wärmepumpen installiert werden. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es zuletzt rund 78.000. Es braucht konkrete Pfade zur Herstellung und Nutzung synthetischer Kraftstoffe, grüner Gase und Wasserstoff. Deutschland muss den Netzausbau forcieren, und der Bedarf an gesicherter Leistung wird möglicherweise noch einmal deutlich steigen.

Ein CO2-Preis wäre möglicherweise auch für die Industrie besser

Alles das wird ohne grundsätzliche Veränderungen nicht zu schaffen sein. Die ökonomischen Rahmenbedingungen müssen genauso auf den Prüfstand wie die regulatorischen. Viele Gesetze müssen überarbeitet werden. Bestimmte Instrumente und Lösungen bei dieser notwendigen Neuorientierung von vornherein auszuschließen, ist kontraproduktiv. Umso wichtiger wäre eine entschlossenere Entscheidung zugunsten einer CO2-Bepreisung gewesen. Am Ende wäre dies für die energieintensive Industrie möglicherweise besser als politisch motivierte Kraftwerksabschaltungen. Aber dazu bei anderer Gelegenheit mehr. Grundsätzlich gilt: Die Haltung gegenüber den möglichen Lösungsansätzen muss offener werden, innovationsfreundlicher und mehr an den realen Möglichkeiten orientiert statt an aus der Zukunft abgeleiteten Top-Down-Szenarien. Manche Stellen im Koalitionsvertrag zeigen, dass die Koalitionäre das erkannt haben.

Wichtig ist vor allem auch, dass die Kommissionen im engen Austausch miteinander stehen. Denn auch das hat die dena-Leitstudie gezeigt: Ohne integrierte Betrachtung der verschiedenen Sektoren – zu denen natürlich auch die Industrie gehört – kommt man nicht zu den richtigen Ergebnissen. Eine Person, eine Organisation oder ein Ressort sollte also für eine enge Verknüpfung sorgen. Gut übrigens, dass Wirtschaft (und damit auch die Industrie) und Energie in einem Ministerium zusammenbleiben.

Ist das zu schaffen? Zugegeben, bei manchen Punkten sind Zweifel angebracht. Mir ist beispielsweise kein realistischer Pfad bekannt, wie das Sektorziel im Verkehr wirklich erreicht werden könnte. Möglicherweise ist uns allen auch noch nicht ausreichend bewusst, wie stark die Veränderungen am Ende sein müssten. Dass das nun 2019 schon rechtsverbindlich festgehalten werden soll, wird sicher noch zu spannenden Debatten führen.

Und dennoch: Wichtig ist es, möglich ist vieles. Energiewende und Klimaschutz sind Fortschrittsprojekte. Sie schaffen Arbeitsplätze und Innovationen. Sie sorgen für eine nachhaltige und zukunftsfähige Wirtschaft und helfen, unserer globalen Verantwortung gerecht zu werden.

Man muss diesen Wandel aber auch wirklich wollen. Und das, schließlich, ist die eingangs erwähnte zweite Bedingung für eine erfolgreiche Energie- und Klimapolitik: Um das Mögliche wirklich zu machen, braucht es Herz und Verstand, Mut, Urteilskraft und Durchsetzungsstärke. Am Ende kommt es eben doch auch auf die handelnden Personen an. Nicht nur in einem Ressort.

Zuerst erschienen im Tagesspiegel Background Energie & Klima am 9. Februar 2018