Pressemitteilung

Zehn Jahre WBGU-Hauptgutachten „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation“ - eine konstruktive Kritik und ein Blick auf die Veränderungsdynamik der vergangenen 10 Jahre

Gestaltung von Transformationsprozessen bedarf der Kenntnis von Zeiten und Eigendynamiken betroffener Systeme

Heute vor zehn Jahren hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) das Hauptgutachten Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation veröffentlicht. Das Gutachten stieß damals als Impulsgeber für eine Transformation hin zu einer nachhaltigen Welt auf viel Resonanz. Was von den geforderten Veränderungen umgesetzt wurde und wie der Bericht zu beurteilen ist, zeigt das aktuelle Diskussionspapier „Grundlagen sozial-ökologischer Transformationen: Gesellschaftsvertrag, Global Governance und die Bedeutung der Zeit. Eine konstruktive Kritik des WBGU-Gutachtens „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ des ZEW Mannheim zusammen mit der deutschen Energie-Agentur (dena) und Autoren der Universität Heidelberg.

Das Diskussionspapier nimmt unter die Lupe, was sich in den vergangenen zehn Jahren verändert hat und inwiefern damalige Kernforderungen des WBGU-Gutachtens dabei eine Rolle gespielt haben. Ziel des Gutachtens war es, den Grundstein für eine Welt des nachhaltigen Wirtschaftens zu legen. Dazu formulierte es einen Katalog dringend notwendiger Veränderungen, um eine Große Transformation anzustoßen, die ähnlich umfassend sei, wie der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft in der Industriellen Revolution. Dazu sollten ein globaler Gesellschaftsvertrag etabliert und umfassende nachhaltige Politiken innerhalb von zehn Jahren – also bis heute - umgesetzt werden.

Weder die Etablierung eines globalen Gesellschaftsvertrages noch die hohen Erwartungen an eine Global Governance haben die klimapolitischen Erfolge des vergangenen Jahrzehnts entscheidend geprägt. Diese Erwartungen scheiterten an ihrer mangelnden Umsetzbarkeit. Die Vereinbarung der Pariser Klimaziele 2015 und die nachfolgenden erfolgreichen Maßnahmen konnten ihre Wirkung vielmehr deshalb entfalten, weil sie sich von Forderungen dieser Art verabschiedet hatten. So zeigt das Diskussionspapier auf, dass im Pariser Abkommen der Top-Down Ansatz durch einen Bottom-Up-Ansatz ersetzt wird. Auf diese Weise wird den beteiligten Staaten ermöglicht, ihren Weg zur Erreichung der Ziele selbst zu wählen und zu gestalten.

Verständnis von Zeit entscheidend
Zentral für die Beurteilung der Herangehensweise des WBGU an die Gestaltung von Transformationen ist dessen Verständnis von Zeit. Für den WBGU gibt es nur eine lineare, homogene Zeit, die gleichermaßen für die Natur und für alle Gesellschaften gilt. Dieses verkürzte Verständnis von Zeit führt dazu, dass innerhalb der Dynamiken von Natur, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft weder Handlungsmöglichkeiten noch Handlungsbeschränkungen realistisch eingeschätzt werden können. Indem nur darauf geschaut wird, dass die Uhr sprichwörtlich auf „5 vor 12“ steht, rücken Fragen nach der politischen und ökonomischen Umsetzbarkeit der notwendigen Maßnahmen in der vorgegebenen Zeit ebenso in den Hintergrund, wie die Herausforderung, innerhalb kurzer Zeit gesellschaftliche Akzeptanz für diese Maßnahmen zu gewinnen. Entscheidend für Umwelt- und Klimapolitik ist es, dass die ökologischen, ökonomischen und sozialen Zusammenhänge von Eigenzeiten geprägt sind. Das bedeutet, dass soziale, ökonomische und ökologische Prozesse über eigene Dynamiken, Zeitstrukturen und – bedarf verfügen. Die demokratische Mehrheitsfindung für Maßnahmen bedarf einer gewissen Zeit, der Umbau eines Energiesystems braucht selbst in einer modernen Gesellschaft Jahrzehnte und auch die Entwicklung neuer, klimafreundlicher Technologien braucht seine Zeit – ganz zu schweigen von Veränderungen in ökologischen Systemen.

Diese Eigenzeiten müssen berücksichtigt werden, um gute Lösungen für klimapolitische Herausforderungen zu finden, die den komplexen Anforderungen gerecht werden. Damit wird deutlich, dass es sich bei der Gestaltung einer nachhaltigen Wirtschaft nicht um eine Große Transformation handelt. Vielmehr arbeiten unterschiedliche Akteure an unterschiedlichen Orten mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten an vielen sozial-ökologischen Transformationen, die es zu verstehen und zu gestalten gilt. Aus dieser Analyse lässt sich nicht nur eine Perspektive für die vor uns liegenden Herausforderungen ableiten, sondern auch Hoffnung, dass diese erfolgreich bewältigt werden können.

Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung und einer der Koautoren des Diskussionspapiers: „Die Autoren des WBGU-Berichts sind wesentliche Treiber von Energiewende und Klimaschutz. Aus heutiger Sicht lohnt sich im Nachhinein eine konstruktiv-kritische Analyse dieses vielfach wahrgenommenen und diskutierten Berichts. Gerade mit Blick auf alles das, was wir uns für die Zukunft vorgenommen haben, ist es wichtig, zurück zu schauen. Dabei werden die wirklichen Dynamiken erkennbar und man sieht, welche Festlegungen diesen vielleicht im Wege stehen. Für den Blick nach vorne gilt es, den Blick frei zu machen auf die tatsächliche Vielfältigkeit der Veränderungsdynamik und auf die damit verbundenen Erfordernisse für Ökonomie, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Der Weg in Richtung Klimaneutralität erfordert die Mühe, sich mit der ganzen Dynamik komplexer Systeme auseinanderzusetzen.

Der Blick auf die vergangenen zehn Jahre zeigt, wie dynamisch und verästelt Energiewende und Klimaschutz sind. Mit dem Begriff der „Großen Transformation“ allein lässt sich das nicht fassen. So bedeutende Impulsgeber wie Greta Thunberg finden in einem solchen Konzept keine angemessene Berücksichtigung.“

Download Diskussionspapier:

„Grundlagen sozial-ökologischer Transformationen: Gesellschaftsvertrag, Global Governance und die Bedeutung der Zeit. Eine konstruktive Kritik des WBGU-Gutachtens „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag; von Reiner Manstetten, Universität Heidelberg; Andreas Kuhlmann, dena; Malte Faber, Universität Heidelberg und Marc Frick, ZEW.

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