Energiesektor der Ukraine

Grüner Wiederaufbau

19.12.2022 - Russische Truppen zerstören gezielt die Energieinfrastruktur der Ukraine. Beim Wiederaufbau soll Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle spielen. Welche Möglichkeiten ergeben sich für deutsche Unternehmen?

Energie durch Wind und Biomasse

Zehn Heizkraftwerke und 28 Umspannwerke – so viel haben russische Bomben nach ukrainischen Angaben allein zwischen dem 10. und 22. Oktober in der Ukraine getroffen oder zerstört. Inzwischen seien rund 40  Prozent der ukrainischen Energieinfrastruktur ernsthaft beschädigt, erklärt der ukrainische Bauminister Oleksii Chernyshov. Damit das Land gut durch den einbrechenden Winter kommt, braucht es jetzt 17.000 Stromgeneratoren, 560 mobile Heizwerke und 250 Wasseraufbereitungsanlagen.

Fünftes Deutsch-Ukrainisches Wirtschaftsforum

Kristina Haverkamp, dena-Geschäftsführerin, forciert den Dialog mit der Ukraine

Welchen Beitrag die deutsche Wirtschaft in dieser Situation leisten kann, wurde im Oktober in Berlin auf dem fünften Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforum diskutiert. Zu Gast waren unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz und der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal, Robert Habeck und die ukrainische Vize-Premierministerin Yulia Svyrydenko. Auch dena-Geschäftsführerin Kristina Haverkamp nahm an der Konferenz mit einem Podiumsbeitrag zur Rolle erneuerbarer Energien in der energiewirtschaftlichen Zusammenarbeit beider Länder teil. „Eine dezentrale, erneuerbare Erzeugung ist ein zentraler Baustein für die Versorgungs- und Energiesicherheit der Ukraine. Hier können deutsche Unternehmen einen wichtigen Beitrag leisten, z. B. bei dem Aufbau einer nachhaltigen Wärmeversorgung in Städten“, erläuterte Haverkamp. Weiter führte die dena-Geschäftsführerin aus, dass ein bedarfsorientierter Wiederaufbau wichtig ist und keine Stranded Assets entstehen und hob hervor: „Wir dürfen den Wiederaufbau nicht einfach nur schnell abwickeln. Wir müssen auch die Chancen nutzen, um eine neue Infrastruktur für eine Energiewende aufzubauen.“

Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und einer der Gastgeber der Veranstaltung, definierte das Ziel des ukrainischen Wiederaufbaus wie folgt: „Ein intelligenter Wiederaufbauplan muss beides schaffen: Die Bevölkerung muss schnelle Ergebnisse beim Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur sehen. Gleichzeitig gilt es, bereits die Grundlagen für nachhaltiges Wachstum zu schaffen.“ Schnelle Nothilfe und langfristige Dekarbonisierung sollen verbunden werden – kann das klappen?

Nachhaltigkeit als Norm beim Wiederaufbau

Mit Hilfe von erneuerbaren Energien wird der Wiederaufbau gelingen

Wie kompliziert die schnelle Reparatur beschädigter Anlagen sein kann, weiß Stefan Kägebein. Er ist im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft für die Ukraine zuständig. „Die ukrainische Energie-Infrastruktur ist oft noch nach sowjetischem Standard aufgebaut“, erklärt Kägebein. Das zeige sich deutlich auf den Listen mit dringend benötigten Ersatzteilen, die das ukrainische Energieministerium regelmäßig veröffentlicht. Das bedeutet: Transformatoren, Schaltschränke und andere technische Bauteile sind für bestimmte Strukturen bestimmt. Der Austausch kaputter Elemente durch möglichst energieeffizienten Bauteile nach westlichen Standards sei deshalb nicht einfach.

Der Wiederaufbau berge trotzdem zwei wichtige Chancen, so Kägebein. Einerseits lasse sich die Energieinfrastruktur Stück für Stück an westeuropäische Standards angleichen. Außerdem könnten ukrainische Ingenieurinnen und Ingenieure  kaputte Strukturen einer fossilen Energiewirtschaft durch effizientere Systeme ersetzen – und damit die Grundlage für eine grüne Energiewirtschaft schaffen.

Die Voraussetzungen dafür, dass die Ukraine künftig von einem Transitland für Gaspipelines zu einem Exporteur grüner Energie wird, seien dank reichlich Wind, Sonne, Wasser und Biomasse gut. Zu diesem Schluss kommt ein Dossier mit dem Titel „Rebuild Ukraine“, das der Ost-Ausschuss im Vorfeld des Wirtschaftsforums gemeinsam mit deutschen Unternehmen und Verbänden erarbeitet hat. Auch die dena hat zu dem Papier maßgeblich beigetragen.

Biogas und Biomethan

Großes Potential sehen die Verfasser des Dossiers in der Produktion von Biogas. Grund dafür ist der große Agrarsektor des Landes, das auch als Kornkammer Europas bezeichnet wird. Die in der Landwirtschaft anfallenden organischen Abfälle sind die Basis für Biogas. Schon heute werden in 73 Anlagen in der Ukraine rund 260 Millionen Tonnen grünes Gas pro Jahr produziert. Auf diese Weise kann die Abhängigkeit von Importen reduziert und eine dezentrale Energieinfrastruktur aufgebaut werden die weniger vulnerabel gegen den Ausfall einzelner größerer Produktionsstätten ist.

Gleichzeitig lässt sich Biogas zu Biomethan für den Export aufarbeiten, das wie Erdgas für die Produktion von Wärme oder Strom verwendet werden kann. Für den Handel mit europäischen Kunden fehlt jedoch noch ein Zertifizierungssystem für Produktion und Herkunft des Energieträgers. Abhilfe soll ein Biomethanregister schaffen, welches das ukrainische Energieministerium und die Staatliche Agentur für Energieeffizienz gemeinsam mit der dena, die hier Unterstützung leistet, aufbauen. Das Register soll voraussichtlich im Rahmen der Deutsch-Ukrainischen Energiepartnerschaft vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) finanziert werden.

Auch grünen Wasserstoff haben die Autorinnen und Autoren des Papiers berücksichtigt. Eine strategische Wasserstoffpartnerschaft zwischen der Ukraine und Deutschland soll nach deren Dafürhalten  ein langfristiges strategisches Ziel bleiben.

Die langfristige Perspektive

Mit Blick auf die mittel- und langfristige Perspektive der Energieversorgung setzt die Ukraine auf Dezentralisierung, Netzflexibilität, innovative und digitale Technologien sowie einen Anschluss an den europäischen Strommarkt. Geht es nach Premierminister Denys Schmyhal, sollen deutsche Unternehmen dabei eine große Rolle spielen. Er ist sich jedenfalls sicher: „Im Prozess der Transformation werden sich unglaubliche Möglichkeiten für deutsche Unternehmen eröffnen.“

Es ist wichtig, die gewonnenen Erfahrungen zu analysieren sowie einfache und schnelle Unterstützungsprogramme zu entwickeln. Daher ist der Austausch mit der Wirtschaft sehr wichtig, um die Finanzierungsinstrumente zielführend und effizient zu gestalten.

Die Deutsch-Ukrainische Energiepartnerschaft bietet genau die richtige Plattform für einen frühzeitigen Austausch über den grünen Wiederaufbau des ukrainischen Energiesektors unter Einbeziehung aller relevanten Akteure.

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