Kommentar

„Nichtwohngebäude können mehr“

Schulen, Hotels und Büros fristen in der Energiewende ein Schattendasein − zu Unrecht, meint Christian Stolte, dena-Bereichsleiter Energieeffiziente Gebäude. Im Tagesspiegel Background Energie & Klima stellt er Lösungsansätze vor.

Jeder kennt und nutzt sie: Nichtwohngebäude. Sei es zum Einkaufen (Handel), zur Kinderbetreuung (Kita), zur Arbeit (Büro) oder auf Reisen (Hotel). Sie sind ein zentraler Bestandteil unseres Lebens. Im Licht der Energiewende fristen Nichtwohngebäude jedoch ein Schattendasein. Politik und Öffentlichkeit schenken dieser Gebäudegruppe bislang deutlich weniger Aufmerksamkeit als den Wohngebäuden. Dabei liegen auch hier Einsparpotenziale, die wir zum Erreichen der Klimaziele dringend brauchen.
 
Verglichen mit Wohngebäuden ist die Zahl der Nichtwohngebäude verhältnismäßig klein, ihr Energieverbrauch dagegen hoch: Gewerbeimmobilien und öffentliche Gebäude stehen für ein gutes Drittel der gesamten Verbräuche im Gebäudebereich. Alle Gebäude wiederum benötigen mehr als ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland. Für die Gebäudenutzer bedeutet dies jährliche Kosten von rund 65 Milliarden Euro – und damit fast das Dreifache der EEG-Umlage. Wenn die Energiewende gelingen soll, muss auch hier mehr Schwung rein.

Das typische Nichtwohngebäude gibt es nicht

Nichtwohngebäude sind keine homogene Gruppe. Das hat sich in unserer Zusammenarbeit mit verschiedenen Branchen und Akteuren im Bereich der Wirtschaftsimmobilien und Liegenschaften der öffentlichen Hand klar gezeigt. In vier Analysen zu Handels-, Hotel- und Büroimmobilien und kommunalen Gebäuden haben wir unsere Erkenntnisse zusammengefasst.

„Förderung, Kommunikation und Beratung zu Energieeffizienz und Klimaschutz müssen stärker branchenspezifisch gestaltet werden.“

Christian Stolte, dena-Bereichsleiter Energieeffiziente Gebäude

Schulen, Hotels, Büros oder Handelsimmobilien: Alle gehören zur Gruppe der Nichtwohngebäude, unterscheiden sich aber erheblich in Nutzung, Fläche, Technik und Besitzstrukturen. Entsprechend müssen Förderung, Kommunikation und Beratung zu Energieeffizienz und Klimaschutz stärker branchenspezifisch gestaltet werden. So braucht der Eigentümer eines privat geführten Hotels andere Formen der Ansprache und der Unterstützung als eine große Supermarktkette, die ihre Filialen energetisch auf Vordermann bringen möchte. Bei kommunalen Nichtwohngebäuden ist der Staat gefragt, seine Vorbildrolle zu erfüllen.

Mittelstand und Mieterdilemma

Trotz aller Besonderheiten gibt es auch gemeinsame Herausforderungen: Ein erheblicher Teil der Gebäude wird von kleinen und mittleren Unternehmen genutzt. Zeit und Personal sind hier oft nicht ausreichend verfügbar, um komplexe Themen wie eine energetische Sanierung oder eine Nachhaltigkeitsstrategie anzupacken. Für den Mittelstand in Deutschland brauchen wir deshalb neue Lösungen. Beispielsweise indem wir stärker auf eine Begleitung der Umsetzung von Sanierungen setzen. Komplexen Maßnahmen gehören in die Hände derer, die die Kompetenz dafür besitzen: die Energieeffizienzexperten. Flankierend wäre ein Förderprogramm sinnvoll, das die Etablierung eines „Kümmerers“ in kleinen- und mittelständischen Unternehmen ermöglicht.
 
Auch bei Finanzierung und Förderung zeigen sich in den untersuchten Branchen Ähnlichkeiten: Fördertöpfe gibt es viele, doch das Angebot wird als unübersichtlich, die Abwicklung als kompliziert empfunden. Hier braucht es eine kontinuierliche Kommunikation der Förderangebote durch die Fördermittelgeber, die das knappe Zeitkontingent vieler Unternehmer und im besten Falle weitere Besonderheiten einer Branche berücksichtigt. Dass das Bundeswirtschaftsministerium aktuell an einer Neuausrichtung der Förderung im Rahmen der Förderstrategie 2020 arbeitet, ist ein gutes Signal.
 
Ein weiteres Thema ist das sogenannte Nutzer-Investor-Dilemma. Betroffen sind vor allem viele Büro- und Handelsimmobilien: Der Nutzer ist hier oft nicht Eigentümer, sondern Mieter der Immobilie. Dadurch stellt sich die Frage, wer Investitionen in Energieeffizienz und Nachhaltigkeit bezahlt und wer davon profitiert. „Grüne“ Mietverträge können hier ein Lösungsweg sein. Mieter und Vermieter verpflichten sich darin, Nachhaltigkeitskriterien einzuhalten, zum Beispiel beim Energieverbrauch, beim Betrieb und bei Baumaßnahmen. Die bislang vorhandenen Ansätze spielen auf dem deutschen Markt noch eine untergeordnete Rolle. Daher sollte sich die Politik stärker in den Diskurs einbringen, um grüne Mietverträge am Markt zu stärken und ihre Durchsetzungsfähigkeit zu erhöhen. Damit wäre schon viel gewonnen.
 
Fest steht: Nichtwohngebäude können mehr. Der Stellenwert von Energieeffizienz und Nachhaltigkeit muss hier deutlich zulegen, nur dann erreichen wir das Ziel des klimaneutralen Gebäudebestands. Marktspezifische Lösungen sowie mehr Kommunikation und Dialog mit den Branchen sind der Weg dorthin – damit Nichtwohngebäude endlich raus aus dem Schatten der Wohngebäude treten und ihren Beitrag zur Energiewende leisten können.

Zuerst erschienen im Tagesspiegel Background Energie & Klima am 31. Oktober 2018.