Statement zur Unterzeichnung des Aachener Vertrags am 22.1.2019

Deutsch-Französischer Motor schaltet auf Energiewende

Im neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag wird erstmals das Thema Energiewende verankert. Jetzt kommt es darauf an, den Bürgerinnen und Bürgern beider Länder den konkreten Mehrwert einer länderübergreifenden Zusammenarbeit in Energiefragen zu verdeutlichen. Dies kann auch als Signal für Europa dienen.

Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung. Foto: Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena)

Frankreich und Deutschland wollen ihre Zusammenarbeit weiter ausbauen: Am 22. Januar haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine Neuauflage des Elysée-Vertrags in Aachen unterzeichnet. Darin werden Bereiche festgelegt, in denen Deutschland und Frankreich neue Akzente für die europäische Integration setzen wollen. Unter anderem ist eine engere Zusammenarbeit beider Länder bei Energiewende, Klimaschutz und Digitalisierung geplant.

Für das Gelingen einer europäisch integrierten Energiewende ist das ein entscheidender Schritt nach vorn; auch, dass die dezentrale Zusammenarbeit und die Rolle der Grenzregionen hervorgehoben werden. Schließlich ergeben sich durch die zunehmend dezentrale Ausrichtung der Energiesysteme, den steigenden Bedarf einer effizienten Integration von erneuerbaren Energien sowie neuer Infrastruktur für Fahrzeuge mit alternativen Antrieben neue grenzüberschreitende Optimierungsmöglichkeiten. Die verschiedenen Sektoren und Infrastrukturen gilt es mit innovativen Steuerungstechnologien zu verbinden – auch über Ländergrenzen hinweg.

Der Vertrag des Zusammenwachsens kommt zur richtigen Zeit

1963 unterzeichneten der damalige französische Präsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer den Elysée-Vertrag noch als „traité de réconciliation“ – als Versöhnungsvertrag, um die Freundschaft der einst verfeindeten Länder zu besiegeln. Der neue sogenannte Aachener Vertrag gilt hingegen als „traité de convergence“, als Vertrag des Zusammenwachsens. Angesichts populistischer und nationalistischer Tendenzen in vielen EU-Ländern und des Brexits ist das ein elementares Zeichen, das zur rechten Zeit kommt. Schließlich stehen im Mai auch die Europawahlen bevor. Die feierliche Unterzeichnung des Vertrags erinnert die Menschen beider Länder an die historische Bedeutung dieser Zusammenarbeit.

Natürlich reicht ein Vertrag allein noch nicht. Das Potenzial, das darin steckt, muss erst herausgearbeitet werden. Es geht darum, die Bekenntnisse mit Leben zu füllen und den Bürgerinnen und Bürgern beider Länder zu demonstrieren, welchen Mehrwert diese Zusammenarbeit für sie haben kann.

Vernetzt auf allen Ebenen – für eine europäisch integrierte Energiewende

Eine Zusammenarbeit zur koordinierten Umsetzung der Energiewende und des Pariser Klimaabkommens kann einen solchen Mehrwert bieten. Denn eine europäisch integrierte Energiewende bringt diverse Vorteile: mehr Auswahl, mehr Partizipationsmöglichkeiten, niedrigere Preise und eine höhere Versorgungssicherheit. Ein gemeinsamer Markt macht es möglich, die Standortvorteile der jeweiligen Länder zu nutzen und schwankende Stromeinspeisungen von Wind und Sonne auszugleichen. Daher ist es gut, dass die Energiewende im Aachener Vertrag Erwähnung findet.

Zu den 28 Artikeln soll es auch eine Projektliste geben, die länderübergreifende Vorhaben enthält  – unter anderem ein Investitionsprogramm für die Grenzregionen, ein gemeinsamer Fonds für Start-up-Unternehmen und gemeinsame Forschungsprogramme. Geplant sind weiterhin der Abbau von Hindernissen bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und eine Verknüpfung digitaler Netze und Verkehrssysteme. So findet Integration auf allen Ebenen statt.

Damit die deutsch-französische Zusammenarbeit einen konkreten Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger liefern kann, muss sie beweisen, dass die Transformation der Energiesysteme gemeinsam nachhaltiger, innovativer und kosteneffizienter gestaltet werden kann. Gefragt sind vorzeigbare Ergebnisse. Die nächsten Schritte nach Unterzeichnung des Vertrags sind daher entscheidend.

Eine gemeinsame Strategie für 2050

Grundlage der Zusammenarbeit im Energie- und Klimabereich sollte eine gemeinsame strategische Vision für den Umbau des Energiesystems und die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens sein. Wichtig dabei ist auch, dass die Strukturen für die Zusammenarbeit weiter gefestigt werden – wie zum Beispiel im Rahmen der Deutsch-Französischen Energieplattform, die von der dena und der französische Energieagentur ADEME betrieben wird. 

Trotz unterschiedlicher Ausgangspunkte haben Frankreich und Deutschland langfristig vergleichbare Ziele: Klimaschutz voranbringen, erneuerbaren Energien ausbauen, Energieeffizienz steigern, Sektoren wie Wärme, Verkehr, Industrie und Energie enger zusammenführen. Diese Aufgaben sind anspruchsvoll. Durch koordinierte Transformationspfade bis 2050 könnten Synergien genutzt werden, die über Länder und Sektoren hinweg Wirkung entfalten. So kann die deutsch-französische Zusammenarbeit verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, die Orientierung und Planungssicherheit für Investitionen und zukunftsfähige Geschäftsmodelle bieten. Eine deutsch-französische Initiative für einen CO2-Preis könnte Impulsgeber sein für eine Einführung in ganz Europa.

Gemeinsame Projekte mit Vorbildfunktion

Im Vertrag heißt es: „Deutschland und Frankreich stärken den institutionellen Rahmen zur Finanzierung, Vorbereitung und Umsetzung gemeinsamer Vorhaben, insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, erneuerbare Energien und Energieeffizienz.“ Dieser Punkt ist besonders wichtig und sollte weiter konkretisiert und umgesetzt werden. Ein gemeinsamer Rahmen hilft den beteiligten Akteuren, gemeinsame Handlungsmöglichkeiten zu identifizieren, die Machbarkeit zu prüfen und Finanzierungskonzepte zu erstellen. Mit der Deutsch-Französischen Energieplattform wollen dena und ADEME einen solchen Rahmen bieten.

Praxisbeispiele können europaweit die Vorteile gegenüber nationalen Ansätzen demonstrieren – insbesondere auch in den Grenzregionen: Eine gemeinsame Koordination von Planung und Betrieb der Energieversorgung in den Bereichen Strom, Wärme und Mobilität würde von Synergien profitieren. So können Investitionen sinnvoller eingesetzt und nachhaltigere Lösungen umgesetzt werden. Die „Smart Border Initiative“, die im Rahmen der Deutsch-Französischen Energieplattform entwickelt wurde, setzt zum Beispiel genau dort an: Sie zeigt die Vorteile einer grenzübergreifenden Zusammenarbeit in der Praxis im deutsch-französischen Grenzgebiet Saarland/Lothringen. Unter anderem wird dabei durch die Projektpartner innogy, VSE, energis und Enedis das erste länderübergreifende Smart Grid auf Verteilnetzebene realisiert, um ein integriertes lokales Energiesystem zu schaffen.

Die Planung der Vorhaben wird nach Inkrafttreten des Freundschaftsvertrags der Deutsch-Französische Ministerrat übernehmen. Dann kommt es auf die nächsten Schritte an: Schaffen es die beiden Länder, gemeinsam eine Strategie für 2050 zu entwickeln und Rahmenbedingungen für gemeinsame Projekte zu gestalten, wäre das ein Meilenstein auf dem Weg zu einer integrierten europäischen Energiewende und eine echte Chance, die Kraft des deutsch-französischen Motors unter Beweis zu stellen.