denaMagazin #2 05/2014

Sanierung

Wir können auch anders

Gelungene Architektur trifft Energieeffizienz: Das geht auch bei Nichtwohngebäuden. Wie Kommunen diesen Mix umsetzen können, hat die Kleinstadt Ortenberg vorgemacht. Bei der Sanierung des Bürgerhauses wurden Wärmedämmung, Heizungstechnik und Wohlfühlfaktor berücksichtigt – mit Unterstützung der dena.

Eigentlich war Jan Phillip Schalk schon weg. Das Karatetraining nervte. Die Kurse im Bürgerhaus von Ortenberg fielen immer wieder aus. Der einzige Hallenraum wurde auch für Konzerte und politische Versammlungen genutzt. Überschnitten sich die Termine, dann hatte der Karatenachwuchs des örtlichen Turnvereins meist das Nachsehen. „Wenn wir dann doch Training hatten, dann müffelte die Halle, außerdem war der Boden abgenutzt“, erinnert sich der Schüler. Deshalb sei er im Herbst 2010 fast zu den Fußballern gewechselt.

Aber dann kamen Handwerker und Bauarbeiter, sie sanierten das Bürgerhaus. Und heute ist Jan Phillip Schalk 13 Jahre alt, Träger eines braunen Karategürtels und Vereinsmeister in seiner Altersklasse. Er übt gerade einen komplexen Halbkreisfußtritt und sagt: „Das hätte ich nicht gedacht, aber hier zu sein, macht wieder Spaß.“

Nicht nur der junge Karateka sieht das so. Durch die Sanierung ist der 1967 errichtete Gebäudekomplex endlich wieder zu einem richtigen Zentrum der 9.000-Seelen-Kommune geworden, berichtet Bürgermeisterin Ulrike Pfeiffer-Pantring. Eine Modernisierung hatte die Immobilie mit einer Brutto-Grundfläche von 2.200 Quadratmetern dringend nötig. Anlage und Infrastruktur waren in die Jahre gekommen und zum Teil in desolatem Zustand. Das Dach leckte, in Fensterrahmen dienten Taschentücher als Dichtung, und die Lüftungsanlage hatte sich bereits in den 90er-Jahren verabschiedet. „Vereinsnutzungen, Altentreffen, private und öffentliche Veranstaltungen – das, was dieses Haus einst ausgemacht hatte, funktionierte inzwischen nur noch sehr eingeschränkt“, sagt Pfeiffer-Pantring, „zudem belastete der stetig steigende Energieverbrauch die Umwelt ebenso wie die Stadtkasse – und zwar stark.“

Von Frühjahr 2011 bis Herbst 2012 ließ die Stadt im oberhessischen Wetteraukreis ihr Bürgerhaus erneuern. Nun ist vieles anders. Oder mit den Worten Pfeiffer-Pantrings: „Schöner, größer, besser!“ Der Komplex wurde architektonisch aufgefrischt und sogar um einen Anbau erweitert – eine neue Turnhalle. Sie garantiert regelmäßige Karate- und Gymnastikkurse, bietet darüber hinaus Platz für den Schulsport.

„Vereinsnutzungen, Altentreffen, private und öffentliche Veranstaltungen – das, was dieses Haus einst ausgemacht hatte, funktionierte inzwischen nur noch sehr eingeschränkt“

Pfeiffer-Pantring

Dabei wurde das Bürgerhaus energetisch wegweisend umgerüstet: Gemäß der Energiesparverordnung 2009 gilt es als KfW-Effizienzhaus 85, benötigt also 15 Prozent weniger Primärenergie im Jahr als ein vergleichbarer Neubau. „Erreicht haben wir dies, indem wir Gebäudehülle und Haustechnik komplett überholten“, sagt Pia Heidenreich-Herrmann vom Bauamt Ortenberg. Die Energieberaterin und Architektin hat das insgesamt 6,94 Millionen Euro teure Projekt aufseiten der Kommune betreut. Sie stellt fest: „Finanzierung, Planung und Umsetzung funktionierten bestens dank der Kooperation mit der dena.“

Ein Rückblick: Auf Heidenreich-Herrmanns Initiative hin bewarb sich die strukturschwache Stadt im Jahr 2009 beim dena-Modellvorhaben „Niedrigenergiehaus im Bestand für Schulen und Nichtwohngebäude“. Die Agentur arbeitet dabei eng mit einem bundesweiten Expertennetzwerk zusammen und wird vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unterstützt. „Das Ziel ist, die Potenziale von energetischen Optimierungen im Gebäudebestand aufzuzeigen“, erklärt Christian Stolte, Leiter des dena-Bereichs Energieeffiziente Gebäude. „Ob Tilgungszuschüsse oder zinsgünstige Kredite, die Modellprojekte profitieren von einer besonderen finanziellen Förderung durch die KfW Bankengruppe, die über die reguläre Höhe hinausgeht.“ Das Programm wurde 2003 für Wohngebäude aufgelegt und in mehreren Phasen weiterent­wickelt. Seit 2007 werden auch Nichtwohngebäude berücksichtigt.

Die Ortenberger gehörten mit ihrem Bürgerhaus zu den ersten Inte­ressenten. Eine Jury aus unabhängigen Gutachtern und dena-Fachkräften gab schließlich grünes Licht. „Von da an ging’s los“, sagt Stolte, „wir arbeiteten mit der Stadt den Ist-Zustand auf, berieten in puncto Finanzierung und begleiteten sie mit unserem Know-how bei der Umsetzung.“

Die Action findet im neuen Anbau statt: Schüler Jan Phillip Schalk (2. v. r.) trainiert jetzt wieder gerne im Karatekurs Foto: Markus Hintzen Foto: Markus Hintzen

Das Resultat: Energetisch punktet das Haus heute durch ausgezeichnete Werte. Der berechnete Primärenergiebedarf ging von 569,7 Kilowattstunden pro Quadratmeter (kWh/m²) im Jahr auf nunmehr 63,4 kWh/m² zurück. Das ist eine Einsparung von mehr als 85 Prozent gegenüber dem Wert vor der Sanierung. Erreicht wurde das vor allem durch ein neues Heizungskonzept. Der Hauptanteil der Wärme entsteht nicht mehr durch Heizöl, sondern eine CO2-emissionsarme Holzhackschnitzelanlage, sagt Architekt Tobias Poschmann, dessen Büro die Sanierungsmaßnahmen überwacht hat. „Die Besonderheit in Ortenberg ist, dass die Stadt Waldareale besitzt und so ihren Bedarf an Heizungsholz preiswert und mit kurzen Transportwegen abdecken kann.“

Bestnoten auch beim Transmissionswärmeverlust (Ht-Wert): Aus 1,385 Watt pro Quadratmeter und Kelvin (W/m²K) sind 0,298 W/m²K geworden. Das bedeutet eine Reduzierung von knapp 80 Prozent. Dafür sorgt eine umfangreiche Gebäudedämmung. So wurden zum Beispiel die Holzfenster durch eine hochdämmende Wärmeschutzglasfassade ausgetauscht. Und die Außenwände aus massivem Kalksandstein haben nun ein 16 Zentimeter dickes Dämmsystem aus Polystrol. Bleibt noch das Dach: Dort ergänzt jetzt eine 30 Zentimeter dicke Mineralwollschicht die bislang ungenügende Dämmung.

„Die Besonderheit in Ortenberg ist, dass die Stadt Waldareale besitzt und so ihren Bedarf an Heizungsholz preiswert und mit kurzen Transportwegen abdecken kann.“

Tobias Poschmann

Der Erfolg der Maßnahmen wird kontinuierlich überprüft. Für den energetischen Check am Dach etwa gibt es eine neue, äußerst präzise Methode: Thermografieaufnahmen mit einer Drohne. In Ortenberg kommt ein Fluggerät mit acht Propellern zum Einsatz. Vom Boden aus steuert Pilot Herfried Quanz den Oktokopter. Die Aktion dauert 45 Minuten. „Eine Spezialkamera erfasst die Wärmestrahlung an der Dachoberfläche“, sagt Quanz. Er erstellt ein Video mit rund 25 Bildern in der Sekunde.

Auch Junior-Karateka Jan Phillip Schalk will sich weiter verbessern: mit 18 den schwarzen Gürtel machen, mit 20 Sport studieren, dann eine Dojo-Karateschule eröffnen. Im Moment versucht er aber noch, seinen Halbkreisfußtritt sauber hinzubekommen.