Seit über 150 Jahren sind Hamburgs Bürger und Aurubis schon Nachbarn. Das Stammwerk von Europas größtem Kupferproduzenten liegt auf der Peute, der Binneninsel im Bogen der Norderelbe. Wenn man die Eisenstufen an den Schloten des Kupfer-Schmelzofens erklimmt, sieht man im Nordwesten die glitzernde Hülle der Elbphilharmonie. Im Süden grenzt direkt der Stadtteil Wilhelmsburg an, wo früher die Hafenarbeiter wohnten. Stadt und Werk wollen sich nun noch enger vernetzen: „Kupferproduzent soll HafenCity einheizen“, schreibt das Hamburger Abendblatt. „Erstmals wird ein ganzer Stadtteil nahezu vollständig mit Abwärme aus der Industrie versorgt werden“, lobt Jens Kerstan, Umweltsenator der Freien- und Hansestadt.
Vom Hochofen in die Heizung
Im Aurubis-Werk glühen die Hochöfen und flüssiges Kupfer schießt aus dem Abstich am Schwebeschmelzofen. Wenn Christian Hein da zu einer Erklärung ansetzt, ist er kaum zu verstehen. „Hier wird aus hochangereichertem Kupfererz reines Kupfer gewonnen“, ruft der Projektleiter und Koordinator für Energieeffizienz und Energiemanagement von Aurubis, als der gröbste Lärm verklungen ist.
Was in den Aurubis-Hochöfen passiert, ist schnell erklärt: Erzkonzentrat enthält etwa ein Drittel Kupfer, ein Drittel Eisen, ein Drittel Schwefel. Auf über 1.200 Grad wird dieses Gemisch erhitzt und so entsteht in mehreren Prozessschritten flüssiges, 99,5 Prozent reines Rohkupfer und Eisensilikat; in den Dämpfen steckt der Schwefel als gasförmiges Schwefeldioxid. Die Produkte daraus verkauft Aurubis weltweit.
„Wenn wir auf die Emissionen schauen, dann ist so ein Werk direkt in der Stadt natürlich eine große Herausforderung“, sagt Hein. Aurubis hat in den vergangenen Jahren Millionen in Betriebsoptimierungen und Filteranlagen investiert. „Aber bei der Fernwärme ist diese räumliche Nähe ein Glücksfall.“
Denn: Was macht man mit so viel Hitze? Die heißen Abgase des Schwebeschmelzofens haben eine Temperatur von 1.400 Grad Celsius. So werden bereits jetzt 70 bis 80 Prozent des im Werk benötigten Prozessdampfes CO2-neutral aus Abwärme gewonnen. Die Reaktionswärme des Schwefelsäureprozesses konnte bisher jedoch nicht vollständig genutzt werden. „Für Wärme unter 100 Grad haben wir viel weniger Verwendung im Werk“, erklärt Hein. Aber gerade diese Wärme ist ideal, um etwa Wohnungen zu heizen.
Ob Brötchen- oder Papierherstellung: Beispiele der industriellen Abwärmenutzung






Abwärme im Instrumentenmix der Energiewende
Abwärme-Nutzung spart Kosten und CO2
Prozesswärme ist heute die größte Abwärmequelle in Deutschland. Experten schätzen, dass Unternehmen hier jährlich rund fünf Milliarden Euro an Energiekosten einsparen könnten und sich insgesamt ein Wärmeangebot von 125 Terawattstunden (TWh) erschließen ließe. Das entspricht immerhin der gesamten 2016 in Deutschland genutzten Fernwärme von 130 Terawatt.
Um die hier schlummernden Potenziale zu heben, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im „Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz“ (NAPE) eine technologieoffene Förderung der Abwärmenutzung gestartet. Über das „Energieeffizienzprogramm Abwärme“ der KfW können Unternehmen aller Größen und Branchen zinsgünstige Darlehen bis zu 25 Millionen Euro pro Vorhaben (KfW-Programm 29) sowie Tilgungszuschüsse für förderfähige Kosten von 30 bis 50 Prozent (KfW-Programm 494) aus Mitteln des BMWi bekommen.
Das Ziel: Da sich die riesigen Abwärmepotenziale mit verfügbaren Technologien erschließen lassen, können sie einen erheblichen Beitrag leisten, damit Deutschland seine Klimaziele 2020 erreicht. Bisher droht hier eine Lücke, die es mit zusätzlichen Maßnahmen zu schließen gilt.
„Die Nutzung von Abwärme wie bei Aurubis ist ein Top-Thema im Instrumentenmix der deutschen Energiewende“, erklärt Armin Kühn, Projektleiter im Bereich Energiesysteme und Energiedienstleistungen der dena. Die Unternehmen in Deutschland könnten durch intelligente Abwärmenutzung jährlich rund fünf Milliarden Euro sparen und ein Wärmepotenzial von 125 Terawattstunden erschließen. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert solche Vorhaben deshalb über die KfW und die dena hat aus fast 100 Vorschlägen zehn Leuchtturmprojekte ausgewählt. Dazu zählen auch:
- die Stadtwerke Gießen mit der Bosch Thermotechnik und der Bosch KWK Systeme GmbH
- die Brauerei C. & A. Veltins
- die Evers-Druck GmbH
- Evonik Industries
- das Fahrzeugwerk Bernard Krone
- die Georgsmarienhütte GmbH
- die GETEC heat & power AG
- die GILGEN’S Bäckerei & Konditorei
- und die Nestlé Deutschland AG.
„Wir wollen, dass das Schule macht“, erklärt dena-Projektleiter Armin Kühn.
Aurubis kommt entgegen, dass in Hamburg gerade viel gebaut wird. Am Ufer der Norderelbe, das dem Aurubis-Werk gegenüberliegt, entsteht die neue HafenCity, die Nutzfläche von 1,4 Millionen Quadratmetern entspricht fast 20.000 durchschnittlich großen Wohnungen. Zwischen Werk und Wohnungen entsteht eine Fernwärmeleitung, die die Wohnungen klimafreundlich mit Heizenergie und warmem Wasser versorgt.
„Dort“, sagt Christian Hein und zeigt auf den östlichen Teil des Werksgeländes, „wird die Wärme übergeben.“ Der erste der drei Stränge in der so genannten Kontaktanlage, die das Schwefeldioxid aus dem Schmelzofen in flüssige Schwefelsäure umwandelt, wird bereits umgebaut. Dann kann die Wärme aus der Schwefelreaktion in einem Wärmetauscher auf das Wasser der geplanten Fernwärmeleitung übertragen werden. Von dort wird es dann in unterirdischen, dick gedämmten Rohren entlang des Aurubis-Werks nach Nordosten fließen, weiter durchs Gewerbegebiet und dann entlang der Veddeler Brückenstraße über die Norderelbe. Stolze 2,7 Kilometer lang ist die Leitung.
Energie auch wirtschaftlich nutzen
„Nach den Löhnen und Gehältern sind die Energiekosten immerhin der zweitgrößte Ausgabenposten bei Aurubis. Wir haben lange nach einem geeigneten Kunden für die CO2-neutrale Wärme gesucht“, erklärt Hein. Siebzehn Millionen Euro kosten die Umbauten im Prozess und für die interne Wärmeleitung, rund ein Drittel der Summe wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie über das „Energieeffizienzprogramm Abwärme“ der KfW gefördert. Durch die Nutzung der Abwärme dieses Stranges der Kontaktanlage spart Aurubis Erdgas ein, dessen Verbrennung zur Dampferzeugung bisher jährlich 11.000 Tonnen CO2 verursacht hat.

Die Fernwärmeleitung außerhalb des Werkes baut die enercity Contracting Nord GmbH, eine Tochter der Stadtwerke Hannover. „Um die produktionsbedingten Schwankungen der Aurubis-Abwärme auszugleichen, errichten wir eine neue Energiezentrale auf der Peute. Darüber hinaus können bereits seit 2014 in der Energiezentrale am Oberhafen vorhandene Spitzenlastkessel und ein mit Biomethan betriebenes Blockheizkraftwerk zum Ausgleich zwischen Abwärmeaufkommen und Wärmebedarf der HafenCity Ost genutzt werden“, erläutert Carlo Kallen, Sprecher der enercity. Die Abwärme der Aurubis wird so in Zukunft den Grundlast-Wärmebedarf decken. Wärmespeicher mit einer aktuellen Kapazität von 300 Kubikmetern in der Energiezentrale am Oberhafen unterstützen derzeit die ganzjährige Vollversorgung mit Heizenergie. Das ganze Projekt ist auf der Zielgeraden: Der Bau der Fernwärmeleitung hat begonnen, und das erste warme Wasser soll spätestens zum Beginn der Heizperiode 2018 fließen. Die Gesamtkosten der Auskopplung auf Seiten der enercity für dieses Projekt belaufen sich auf rund 16 Millionen Euro.
Die Verantwortlichen bei Aurubis denken inzwischen noch weiter. Bisher wird erst einer von drei Produktionssträngen genutzt. „Was wir jetzt machen, ist nur der erste Schritt“, sagt Hein. „Richtig spannend“ sei die Idee, auch die beiden verbleibenden Anlagen umzubauen. Die Herausforderungen beim Bau einer weiteren Anschlussleitung wären immens: Die Trasse Richtung Innenstadt müsste hinter den Elbbrücken über eine der Hauptverkehrsadern Hamburgs geführt werden. Auch hier müsste der Bund Fördermittel bereitstellen. Aber: „So ließen sich jährlich bis zu 140.000 Tonnen CO2 sparen“, schwärmt Hein. Er hofft, dass die notwendigen Entscheidungen bis Ende 2018 fallen.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus unserem Unternehmensmagazin „transition“.
