Interview mit dena-Experte Stefan Mischinger zu Bestandsnetzen

Wie können wir das Stromnetz besser auslasten?

Die dena und das Büro für Energiewirtschaft und technische Planung (BET) haben kürzlich ein Ergebnispapier zur höheren Auslastung des Stromnetzes veröffentlicht. Ein vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) angestoßener Stakeholderprozess war vorangegangen. dena-Experte Stefan Mischinger erklärt, warum es Netzengpässe gibt und wie wir sie vermeiden können.

Der Netzausbau schreitet unter anderem wegen Akzeptanzproblemen nicht so schnell voran wie der Ausbau der erneuerbaren Energien. Dadurch entstehen Netzengpässe. Foto: Shutterstock

Warum besteht Handlungsbedarf im Netz und wie kommt es zu Netzengpässen?

Im Zuge der Energiewende wurden erneuerbare Erzeuger so stark ausgebaut, dass Deutschland 2016 ein Drittel seines Stromverbrauchs aus diesen Quellen decken konnte. Da wir bis 2050 die Treibhausgasemissionen in allen Sektoren um mindestens 80 Prozent senken möchten, brauchen wir zukünftig noch viel mehr erneuerbare Erzeugung. Konventionelle Kraftwerke sind in den höchsten Spannungsebenen angeschlossen und nah an Verbrauchszentren wie Städten oder der Industrie gebaut. Erneuerbare Erzeuger hingegen sind zu einem großen Anteil in unteren Spannungsebenen angeschlossen und müssen natürlich da gebaut werden, wo es auch viel Wind und Sonne gibt. Deshalb erfordert die Energiewende nicht nur eine Veränderung in der Stromerzeugung, sondern auch eine Anpassung – den Ausbau der Stromnetze. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass der Netzausbau unter anderem wegen Akzeptanzproblemen nicht so schnell voranschreitet wie der Ausbau der erneuerbaren Energien. Dadurch entstehen Netzengpässe. Im letzten Jahr mussten die Netzbetreiber an 330 Tagen, das heißt fast jeden Tag, Netzengpässe beseitigen. Möglich ist dies durch Maßnahmen wie Einspeisemanagement oder den sogenannten Redispatch, also den Eingriff in den Betrieb von Energieerzeugungsanlagen zur Netzentlastung.

Die Beseitigung von Netzengpässen verursacht Jahr für Jahr beträchtliche Kosten. Können sie diese beziffern – und wie lassen sie sich reduzieren?

Im Jahr 2015 lagen die Kosten für die Netzengpassbewirtschaftung bei 1,1 Milliarden Euro. Im Jahr 2016 bei 850 Millionen Euro. Dass diese Kosten so hoch sind, liegt eben vor allem daran, dass der Netzausbau dem Ausbau erneuerbarer Energien nacheilt. Daher ist die erste und wichtigste Maßnahme, um diese Kosten zu reduzieren, den Netzausbau schneller umzusetzen. Dies wurde auch im Rahmen des Netzentwicklungsplans beschlossen. Zusätzlich muss man sich aber Gedanken machen, mit welchen Technologien man die bestehenden Netzkapazitäten besser auslasten kann und wie man die existierenden Prozesse zur Netzengpassbewirtschaftung optimieren kann. Für beides bietet die Digitalisierung neue Chancen und Ansatzpunkte. In Anbetracht der großen Herausforderungen für die Stromnetze stellt die höhere Auslastung der bestehenden Kapazitäten aber keine Alternative zum Netzausbau dar, sondern eine Ergänzung.

„In Anbetracht der großen Herausforderungen für die Stromnetze stellt die höhere Auslastung der bestehenden Kapazitäten aber keine Alternative zum Netzausbau dar, sondern eine Ergänzung.“

Stefan Mischinger, dena-Teamleiter Stromnetze

Welche Maßnahmen können die Kosten für das Engpassmanagement senken?

Die dena und die BET haben im Rahmen eines Stakeholderprozesses zusammen mit Netzbetreibern, Bundesnetzagentur, dem Bundeswirtschaftsministerium sowie Verbänden und Unternehmen einen Katalog erarbeitet. Er enthält sieben Maßnahmen, die kurzfristig, das heißt innerhalb der nächsten fünf Jahre, umgesetzt werden können. Der Maßnahmenkatalog setzt sich dabei aus einer Mischung verschiedenster Optimierungsvorschläge zur besseren Netzauslastung zusammen, die sowohl konkrete Bauvorhaben als auch Prozessoptimierungen und Forschungsvorhaben umfassen.
Mit diesem Prozess haben wir uns erstmalig nicht nur damit beschäftigt, wie das optimale Stromnetz in Zukunft aussehen muss, sondern auch wie der Übergang dahin kostenoptimal gestaltet werden kann. Schließlich bauen wir für die Energiewende kein neues Stromsystem auf einer grünen Wiese, sondern wir müssen das bestehende Stromsystem geeignet umbauen.
Die beteiligten Netzbetreiber haben abgeschätzt, dass sich mit diesen Maßnahmen über 200 Millionen Euro jährlich einsparen lassen. Zusätzlich gewinnen wir durch die vorgeschlagenen Prozessoptimierungen mehr Transparenz und erhöhen die Zuverlässigkeit der Abläufe beim Umgang mit Netzengpässen.

Das klingt Erfolg versprechend. Warum ist man da noch nicht vorher drauf gekommen?

Deutschland ist Vorreiter bei der Umstellung der Stromversorgung eines Industriestaates auf erneuerbare Energien, deren Erzeugung mehrheitlich davon abhängt, ob die Sonne scheint oder der Wind weht. Die damit verbundenen Herausforderungen sind vielfältig und komplex. Da wir weltweit zu den Ersten gehören, die diesen Weg beschreiten, können wir uns die notwendigen technischen und prozessualen Lösungen nicht einfach irgendwo abgucken, sondern müssen diese neu entwickeln. Die Erkenntnis, dass die Energiewende nicht nur eine Umstellung der Energieerzeugung ist, sondern auch Energieübertragung, -verteilung und -verbrauch betrifft, hört sich heute selbstverständlich an. Doch auch sie musste mühsam erarbeitet werden. Die dena hat hierzu mit der dena-Netzstudie II einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet und tut es auch weiterhin, wie der Maßnahmenkatalog zeigt.

Maßnahmen zur höheren Auslastung der Bestandsnetze

  1. NOVA-Monitoring einführen (NOVA = Netzoptimierung vor Verstärkung und Ausbau)
  2. Flächendeckendes Freileitungsmonitoring umsetzen
  3. Bauliche Zwischenmaßnahmen (im aktuellen Netzentwicklungsplan-Prozess) umsetzen
  4. Netzentwicklungsplan-Prozess weiterentwickeln
  5. Redispatchprozesse weiter optimieren
  6. Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren
  7. Einführung neuer Technologien und Systemführungskonzepte beschleunigen

 

Welche Rolle hat die dena in dem Stakeholderprozess des BMWis gespielt?In diesem Prozess waren wir vor allem als Moderator gefordert. Die notwendige technische Detailkompetenz bezüglich Netzbetrieb und -planung haben die beteiligten Stakeholder eingebracht. Aber um eine für alle zufriedenstellende und machbare Lösung zu entwickeln, braucht es eine Instanz, die die Interessen und Probleme der einzelnen Beteiligten versteht und gleichzeitig das übergeordnete Ziel einer volkswirtschaftlichen Kostenoptimierung nicht aus den Augen verliert. Diese äußert sich letztendlich in niedrigeren beziehungsweise weniger stark steigenden Strompreisen für jeden einzelnen. Verbände, die natürlicherweise die Interessen ihrer Mitglieder vertreten, können diese Rolle nur eingeschränkt einnehmen. Daher braucht es Akteure wie die dena, um die Energiewende voranzutreiben.

Was sind nun die nächsten Schritte?

Der Katalog benennt nicht nur Maßnahmen, sondern auch Verantwortlichkeiten. Im Zuge des Stakeholderprozesses haben wir von den Beteiligten die Zusage erhalten, dass sie die ihnen zugewiesene Verantwortung wahrnehmen und die Maßnahmen umsetzen. So ist das BMWi beispielsweise gefordert, Genehmigungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen.