Kommentar von Andreas Kuhlmann im Tagesspiegel Background Energie & Klima

Jamaika und die Energiewende

Nun geht es also los: Sondierung, Koalitionsgespräche und dann bald eine neue Regierung. Hoffentlich. Je näher die Gespräche kommen, desto konkreter und schwieriger werden die Themen. Andererseits: Viele verbinden mit einem sogenannten Jamaika-Bündnis die Hoffnung auf eine Koalition mit Gestaltungswillen.

Und kaum ein Thema hat größeren Bedarf an Gestaltung als das, was wir Energiewende nennen. Gelingt es, wird es ein Fortschrittsmotor für die unterschiedlichsten Sektoren und Bereiche. Und gelingen wird es nur, wenn in der Tat manch ein ausgetretener Weg „neu gedacht“ wird.

Aber der Reihe nach.

Zunächst einmal Erwartungsmanagement: Keine gegenwärtig denkbare Regierungskonstellation wird alle Probleme lösen können, die uns – die wir die besonderen Freunde der Energiewende und des Klimaschutzes sind – auf den Nägeln brennen. Die aktuelle Debatte um die Zielverfehlung beim Klimaschutz mit Blick auf das Jahr 2020 zeigt das in beindruckender Weise. Seit vielen Jahren wissen wir, dass die Ziele nicht erreicht werden. Das ist eine schlechte Nachricht, aber es gibt Gründe dafür. Bei alledem was nun ansteht – für 2030 und darüber hinaus –, sollten wir das berücksichtigen.

Scheitern ist keine Option

Viele Themen stehen auf der Agenda: Ausbaukorridore und Energieeffizienz. Netzausbau und gesicherte Leistung. Abgaben und Umlagen neu sortieren, den Gebäudesektor voranbringen und vor allem auch den Verkehr. Mit dem Zwischenfazit der dena-Leitstudie Integrierte Energiewende haben wir das Portfolio in großen Teilen offen gelegt. Vieles davon ist vordringlich und hat höchste Priorität. Doch wer nun gleich schon bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen alles gelöst haben will, riskiert, dass die Gespräche scheitern. Egal welche persönliche politische Einschätzung man haben mag: Ein Scheitern wäre bedauerlich. Für die Energiewende, aber für viele andere politische Fragen auch.

Dennoch: Ein irgendwie zusammengebastelter Kompromiss zwischen Kohleausstieg und Zukunft des Verbrennungsmotors allein wird nicht reichen. Manch einer könnte damit vielleicht schon gut leben. Für die Zukunft der integrierten Energiewende und den Klimaschutz aber wäre das zu wenig.

Neben dem ausdrücklichen Gestaltungswillen fällt folgendes auf. Alle vier Parteien fühlen sich dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet. Und etwas verkürzt: Den einen geht es um mehr Marktwirtschaftlichkeit, den anderen um mehr Fokussierung. Wieder anderen um mehr Ordnung im Abgaben- und Umlagen-Dschungel. Idealerweise so, dass er für den Industriestandort Deutschland Perspektive und Zuverlässigkeit gibt. Das alles zusammen genommen ist eine gute Grundlage. Es hat das Potenzial für einen größeren Wurf hin zu einem neuen ökonomischen Rahmen für die Energiewende mit stärkerer Ausrichtung auf die Vermeidung von CO2. Wie man den mit Leitplanken in den kommenden Wochen skizzieren kann, haben 15 Energie- und Klimaexperten kürzlich in einem gemeinsamen Papier vorgelegt. Die Vorschläge erfahren viel Unterstützung in der Wirtschaft, aber es gibt auch Kritik. Doch die Energiewende macht Entscheidungen erforderlich. Kritik wird es immer geben, aber die Richtungsentscheidung ist nun das, worauf viele warten.

Bereitschaft zum Handeln muss da sein

Die dena-Leitstudie Integrierte Energiewende zeigt auch, viele Punkte, die wir in der Vergangenheit diskutiert haben, werden erneut auf der Agenda auftauchen: Kann es gelingen, den Ausbau der Stromnetze so zu gestalten, dass der wirklich erforderliche Ausbau der erneuerbaren Energien auch sinnvoll vorangetrieben werden kann? Wie steigern wir die Energieeffizienz, aufbauend auf dem, was die letzten Jahre geschafft wurde? Wie organisieren wir die gesicherte Leistung, die laut unserer Studie auch in Zukunft in ganz erheblichem Umfang benötigt wird? Wie organisieren wir das Zusammenspiel ALLER erforderlichen Infrastrukturen für die Energiewende: Stromnetze, Gasnetze, Ladeinfrastruktur und IT, aber auch die Infrastrukturen, die die Industrie für ihre Prozesse benötigen wird? Die Integration der zunehmend direktelektrisch genutzten Komponenten in Gebäuden und im Verkehr in die Verteilnetze bedarf dringend weiterer Untersuchungen. Und auch die Entwicklung von Märkten für synthetische Kraftstoffe im Inland und vor allem auch im Ausland muss aus den ideologischen Grabenkämpfen raus und strategisch angegangen werden.

Die Vergangenheit hat gezeigt, wie leicht man sich mit falscher Politik in Kostenfallen verwickeln kann, die einem zukunftsorientierten Vorhaben die Akzeptanz entziehen können. Die Lehre daraus sollte sein, dass wir uns endlich bemühen, eine wirklich volkswirtschaftliche Betrachtung der Energiewende vorzunehmen. Dazu gehört eine ehrliche Analyse über die Auswirkungen auf bestehende Arbeitsplätze und auf neue. Über die Risiken des Strukturwandels, aber vor allem auch über die Chancen. Eine Analyse über Wachstumspotenziale für deutsche Unternehmen im In- und Ausland. Und auch die Schaffung neuer international agierender Unternehmen, die im Ecosystem Energiewende erste Erfolge hatten und Trendsetter für das sind, was auch in vielen anderen Ländern auf der Agenda steht.

Das alles kann man nicht in den anstehenden Koalitionsverhandlungen schon abschließend regeln. Aber das Bewusstsein über diese Herausforderungen muss vorhanden sein. Genauso wie die Bereitschaft, diese anzugehen.

Zuerst erschienen im Tagesspiegel Background Energie & Klima am 17. Oktober 2017